A little distraction

Anmerkung: Während ich diesen Text schreibe, läuft eine kleine Gans über meinen Bildschirm und zeigt mir lustige Bildchen.

Im Jahr 2001 war ich in einem Alter, in dem man es für eine gute Idee hielt, am letzten Schultag nach der Zeugnisvergabe mit ein paar Typen zusammen die Schulsachen des letzten Halbjahres zu verbrennen. Klassenarbeiten, Hefte und gekaufte Schulbücher wurden auf einen Haufen geschmissen und angezündet. Wir hatten uns für diese Tat einen Ort ausgesucht, der sich keine einhundert Meter vom Schulgelände entfernt befand. Das war nicht besonders clever, aber wir waren ja auch in einem Alter, in dem man seine Schulsachen verbrannte.

Soeben hat die Gans den Windows-Editor geöffnet und »am goose hjonk« hinein geschrieben. Während ich diesen Satz hier tippe, rennt sie genau über diesen hinweg, weshalb ich nicht richtig lesen kann, was ich schreibe.

Eigentlich hätten wir das alles auch digital lösen können. Eines der besten Programme, die jemals entwickelt wurden, waren schließlich die sogenannten Desktop Toys. Startete man das Programm, sah man sich einer Art Spielzeugkiste gegenüber, in der allerlei Utensilien lagen, mit denen man den eigenen Desktop zerstören konnte. Es gab ein Radiergummi, um alles weiß zu färben, einen merkwürdigen Daumen, der alles verwischen konnte, und natürlich martialischere Dinge.

Die Gans verschwand gerade kurz am linken Bildschirmrand. Es ertönte ein Platschen und sie kam zurück. Jetzt verteilt sie ihre schlammigen Fußabdrücke auf meinem Text.

Am liebsten mochte ich die Waffen. Mit einem Maschinengewehr auf das Foto einer unbeliebten Person ballern. Oder gleich mit dem Raketenwerfer die Augen sprengen. Und zuletzt war da eben auch der Flammenwerfer. Hätte ich meine Schulhefte eingescannt, hätte ich sie mit diesem immer und immer wieder verbrennen können, ohne sie wirklich zu zerstören. Aber es wäre einfach nicht dasselbe gewesen. Früher haben wir als Kinder noch an der frischen Luft alles angezündet.

Immer wieder watschelt die Gans über meinen Text. Ja, es lenkt ab. Aber mir tut das Gans… Ganze irgendwie gut. Eine kurze Ablenkung. Ein bisschen Bewegung auf dem starren, digitalen Papier.

Am besten kann man die Gans wohl mit dem Bad Dog vergleichen, der damals in dem tollen Programm After Dark zu finden war. Der rannte als Bildschirmschoner über einen falschen Desktop, zerstörte Ordner, zerfetzte Dokumente, zerriss den Hintergrund und pinkelte alles an. Ich mochte den Hund. Und ich mochte Bildschirmschoner. Mittlerweile schaltet sich mein Bildschirm einfach irgendwann aus, wenn ich über einen längeren Zeitraum untätig bin. Der Bildschirmschoner ist tot.

Wenn es mir zu viel wird mit den ganzen Textdateien und Bildern, kann ich diese selbstverständlich einfach schließen. Aber dann wird die Gans ganz wütend und geht auf meinen Mauszeiger los. Wenn sie ihn zu packen bekommt, verliere ich für ein paar Sekunden die Kontrolle über ihn, während er über den Bildschirm gezerrt wird. Man kann das deaktivieren. Man kann der Gans aber auch einfach ein paar Sekunden lang ausweichen, damit sie den Zeiger nicht erreicht. Das macht Spaß.

Man kann an der Gans diverse Einstellungen vornehmen. Soll sie hin und wieder den Mauszeiger einfach grundlos attackieren? Soll sie Geräusche machen? Wie oft soll sie Bilder und Textdateien hervorholen? Das Beste ist jedoch, dass man eigene Texte und Bilder ergänzen kann. Dann kramt die Gans plötzlich das Hochzeitsfoto meiner Frau und mir hervor und macht mich glücklich. Oder sie bringt ein paar motivierende Zeilen zum Vorschein, die ich mir selbst geschrieben habe.

Ja, wirklich, die Gans lenkt ab. Aber wenn ich stundenlang an meinem Schreibtisch sitze und an einem Text oder meinem nächsten Buch arbeite, bin ich eigentlich ganz froh, etwas zu haben, das mich hin und wieder den Blick auf etwas Anderes richten lässt. Ein paar persönliche Erinnerungsfotos und motivierende Worte sind einfach nie verkehrt. Und wenn sie einem dann auch noch von einer niedlichen Gans überbracht werden, ist diese verdammte Welt wieder ein ganz, gans, ganz kleines Bisschen schöner geworden.


Desktop Goose gibt es bei itch.io und befindet sich zu diesem Zeitpunkt in der Version 0.3.

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