Jahresrückblick 2021

In unserem letztjährigen Jahresrückblick sprachen wir davon, dass ein „komplexes Jahr“ hinter uns liegen würde. Daran hat das vergangene 2021 fraglos – und leider nahtlos – angeknüpft. Wie schon im letzten Jahr wollen wir dennoch einen kleinen Rückblick wagen und haben dazu unsere persönlichen Videospielerlebnisse der letzten zwölf Monate durchstöbert: Welche Augenblicke haben uns 2021 beim Spielen besonders berührt? Welche Momente sind in besonderer Erinnerung geblieben?

Benjamin: Rückweg von der Kita (The Last of Us Part II)

Letztes Jahr hat Kollege Mirko zum Jahreswechsel davon gesprochen, wie er geschrien und geweint hat, während er The Last of Us Part II spielte und auch wenn das sehr eindrücklich war, war es ganz und gar nicht weihnachtlich. Für manche gehört Schreien und Weinen natürlich schon dazu, aber auch diese Wahrheit auszusprechen, fühlt sich nicht sehr weihnachtlich an.

Dieses Jahr spiele ich das Spiel, zu dem Mirko schon anderer Stelle weitere eindrucksvolle Worte gefunden hat und mache alles wieder gut. Denn in dieser besinnlichen Zeit nutze ich die Gelegenheit, euch auf einen weihnachtlichen Spaziergang mitzunehmen.

The Last of Us Part II beginnt in einer gut gesicherten Ortschaft inmitten der Apokalypse. Eine echte Gemeinschaft mit Beziehungen, Landwirtschaft, Feiern und einer gemütlichen Bar. Und es beginnt im Schnee. Kinder werfen mit Schneebällen, Pferde tapern gemächlich von Haus zu Haus. Die Menschen haben sich ein Zuhause geschaffen.

Während ich Ellie durch dieses Weihnachtsmärchen bewege, fällt mein Blick auf einen Mann, der ein Kleinkind an der Hand führt. Es kann noch nicht alleine laufen. Ich erkenne die leicht gebückte Haltung. Ich erinnere das Ziehen im Rücken vom andauernden Herunterbeugen zu einem Kind, das unentwegt und unbedingt laufen will, es aber nicht kann. Die beiden gelangen zu einer Treppe mit nur drei Stufen. Der Mann dreht sich um und geht in die Knie. Dann hüpft das Kind dem Mann die Treppe herunter in die Arme und er geht mit dem Kind auf dem Arm weiter.

Es zieht im Rücken. Aber es lohnt sich.

Nicht nur erkenne ich den gesamten Bewegungsablauf wieder und nicht nur bin ich gerührt von diesem liebevollen Augenblick in der Postapokalypse – ich werde vor allem neugierig, woher die beiden kommen. Dann erinnere ich mich, dass ich ein Videospiel spiele und sie vermutlich gerade einfach an der Ecke gespawnt sind als ich über eine unsichtbare Schwelle geschritten bin. Ich gucke trotzdem nach. Sie kamen aus einem Haus. Ich schaue durch das Fenster. Darin hocken Kinder auf Sitzkissen im Morgenkreis. Der Mann und das Kleinkind haben die große Schwester zur Kita gebracht.

Ich kann es nicht weiter erklären, aber ich habe mich in diesem Moment in dieses Spiel verliebt. Danach sind mir dutzende vermutlich wesentlich erzählenswerterer Dinge widerfahren, aber dies ist ohne Frage mein Gaming-Moment des Jahres 2021.


Janina: Die brennende Feuerwache (Tabletop Simulator)

Feuer, überall Feuer! Panik breitete sich aus. Wir wussten, dass ein einziger weiterer Brandherd das Raumschiff unweigerlich zur Explosion bringen musste. Ich eilte also mit mehreren Aliens im Nacken zum letzten noch unerkundeten Raum, weil klar war, dass es sich dabei nur noch um die Feuerwache handeln konnte. Sie war unsere letzte Rettung. Aber was passierte? Beim Umdrehen von Raumkarten erhalten sie eine zufällige Eigenschaft, und in diesem Fall war es… ein Feuermarker. Was für eine Ironie! Die herbeigesehnte Feuerwache ging vor meinen entsetzten Augen in Flammen auf und beendete damit nach 8 Stunden vorzeitig unser Spiel, bei dem wir nur wenige Runden von einem Sieg entfernt gewesen waren. Mein Team und ich hatten Nemesis verloren. Und ich lachte. Es war so großartig!

Das ist nur einer von mehreren erinnerungswürdigen Momenten, die ich dieses Jahr mit Freunden im Tabletop Simulator erlebt habe – meinem mit großem Abstand meistgespielten Spiel bei Steam. Bereits letztes Jahr hat es uns geholfen, die Einsamkeit der Pandemie besser zu ertragen, als wir unsere Kontakte auf ein Minimum reduziert haben. Und inzwischen habe ich fast hundert Brett- und Kartenspiele auf den virtuellen Tischen ausprobiert. Die Möglichkeiten begeistern mich immer wieder. Anfang diesen Jahres habe ich das Coop-Kartenspiel Die Crew – Mission Tiefsee gekauft, nur um das Missions-Heft direkt aus der Packung zu zerren, den Rest beiseite zu legen und die komplette Kampagne per Tabletop Simulator mit meiner persönlichen Crew durchzuspielen. Viele Abende hat uns das gekostet, und wir hatten jede Menge Spaß dabei.

Nemesis
Haha. Verloren.

Eigentlich bin ich bei Videospielen eher die Einzelgängerin, aber ich liebe das Gemeinschaftsgefühl an Gesellschaftsspielen. Vor allem bei kooperativen Spielen, bei denen es um das gemeinsame Taktieren geht, während man Figuren übers Brett schiebt. Glücklicherweise ist der Markt dafür in den letzten Jahren immens gewachsen, so dass man heute mit den spannenden Neuerscheinungen gar nicht hinterherkommt. Die Brettspiele aus meiner Kindheit wirken im Vergleich dazu wie Pong verglichen mit CivVI. Neue Genres sprießen, bezaubernde Illustrationen sind eher die Regel als die Ausnahme und die Anleitungen müssen niemanden mehr abschrecken. Deswegen sehe ich moderne Brettspiele als logische Fortsetzung meiner Liebe zu Videospielen, und den Tabletop Simulator als die perfekte Verschmelzung beider Welten.

Auch 2021 haben wir größere Treffen vermieden, und dass man das Erlebnis eines Spieleabends so gut auf den Bildschirm transportieren kann, hat mir unheimlich viel bedeutet. Deswegen habe ich Momente wie unsere Nemesis-Niederlage so sehr genossen. Es geht nicht um den Sieg, sondern darum, mit Freunden um diesen Tisch zu sitzen und Spaß zu haben. Und darum, dass dabei mindestens eine:r mit dem Zeichen-Tool einen Penis auf das Spielbrett krakelt.

P.S. Zuerst wollte ich Golly als meinen Moment des Jahres wählen, aber wer Inscryption durchgespielt hat, weiß, warum ich das aus Spoilergründen lieber doch gelassen habe.


Mirko: Abbauen (Terra Nil)

Ich hatte nicht viel vor an diesem Tag, mitten in einem Jahr, in dem sich Gefühlszustände wie müde und wütend zu einem Neologismus verbinden sollten. Der Alltag bestand aus Abwägungen, Atemschutz und Abstand. Die Welt kam mir vor wie ein schwer verwundetes Reh, und die viel zu warme Sommersonne konnte darüber nur bedingt hinwegtäuschen. Vieles war zu viel. Ich sehnte mich nach Ruhe. Und Frische. Nach Optimismus und Runterkommen.

In der seelischen Einöde war mir Eskapismus ein guter Freund. Terra Nil wurde mein Begleiter für deutlich mehr Stunden als ich gedacht hätte. In dem umgekehrten City-Builder sollte ich ein Wasteland mit Leben füllen, strategisch Klicken, Platzieren, Scheffeln, wie damals, nur grüner. Als ich dachte, dass ich den Spin des ach-so-woken Games verstand (und nur etwas müde drüber lächeln konnte), bekam ich meine finale Aufgabe der ersten Spielrunde: Nimm Deinen ganzen Scheiß und verzieh Dich wieder. Überlass der Natur ihren Lauf. Pack ein und verschwinde.

Das Spiel war nicht gewonnen, ehe nicht auch der letzte Rest der Landschaft renaturiert war, ehe nicht auch das letzte bisschen Industrie, selbst wenn es einmal hilfreich war, recyclet wurde. Es gibt kein Happy End ohne vollständige Erholung. Eine Lektion, die sich am Ende desselben Jahres mit seinen ganzen halbherzigen Entscheidungen viel zu relevant anfühlt. Doch solange es diese Erkenntnisse noch gibt, solange Visionen noch Formen finden, ist nicht alles nur Grau in Grau.

Weil ich nach diesem Spiel wieder etwas besser atmen, wieder optimistischer sein konnte, weil ich gut schlief und zuversichtlich aufwachte, ist die Abbau-Phase aus Terra Nil mein Spielemoment 2021.


Sven: Adventskalender (Mission in Snowdriftland)

F:___SORTIEREN\Zeug\Sicherungen\Zeug\Mission in Snowdriftland

So lautet der Pfad zu einem Ordner, den ich vor fünfzehn Jahren auf meiner Festplatte angelegt habe. In diesem Ordner speicherte ich 2006 alle Hintergrundbilder, Icons, Klingeltöne und anderen Dinge, die man in besagtem Jahr im von Nintendo erstellten Adventskalender freischalten konnte.

Der Adventskalender war eigentlich ein kleines Flash-Jump’n’Run mit dem Namen »Mission in Snowdriftland«. Ganz im Sinne der Adventszeit wurde jeden Tag im Dezember ein neuer Level freigeschaltet, nach dessen Vollendung oben genanntes Zeug heruntergeladen werden konnte. Dies ging ganze vierundzwanzig Tage lang und ein damaliger Freund und ich spielten jeden Tag die Level, zeigten uns gegenseitig die Bilder und erfreuten uns vor allem an den Fotos miteinander spielender Familien. Ihr wisst schon. Diese Wii- und DS-Bilder, die man damals immer vorgesetzt bekam. Unterschiedlich aussehende Menschen aller Altersklassen sitzen auf einem Sofa und spielen gemeinsam Videospiele. Die größte Fantasysensation nach »Herr der Ringe«.

Als fünfzehn Jahre später, am 1. Dezember 2021, die Neuauflage des Spiels bei Steam erschien, musste ich vor Freude breit grinsen und ein paar Erinnerungstränen wegdrücken. »Mission in Snowdriftland« war auf einmal wieder da. Ich riss mich zusammen und hielt mich an die Adventskalender-Vorgabe. Ich spielte jeden Tag einen Level, obwohl man problemlos alle auf einmal hintereinander hätte spielen können. Jeden Morgen startete ich das Spiel und beendete den entsprechenden Level. Vierundzwanzig Tage lang.

Es war eine schöne Zeit. Zwar erhält man leider keine veralteten Hintergrundbilder oder Klingeltöne mehr, doch ist das nicht schlimm. Schließlich habe ich das ganze Zeug noch auf meiner Festplatte. Und dort wird es wohl auch immer bleiben. Danke »Mission in Snowdriftland«. Schön, dass du wieder da bist. Auch wenn du in meinen Erinnerungen niemals weggewesen bist.


Matthias: Nicht aufgeben (Metroid Dread)

2021 war ein komisches Jahr. Nicht nur wegen dieser Pandemie, sondern auch wegen einer schier unaufhörlichen Anzahl an Ereignissen, die man Leben in jeder Richtung ins Wanken gebracht haben. Zwischen all dem englitt mir das Hobby Videospiele mehr als vielleicht je zuvor. Oft hatte ich einfach keine Zeit, nicht zu selten aber auch einfach gar keine Lust mehr, mich in digitale Welten zu flüchten.

So bleibt beim Rückblick auf 2021 eigentlich nur ein Spiel übrig, dem ich Aufmerksamkeit und Zeit schenken wollte, egal, was sonst so war: Metroid Dread. Bisher hatte ich vor allem die Prime-Reihe gespielt und geliebt, die 2D-Metroids gingen immer ein wenig an mir vorbei. Mit Dread wollte ich das ändern und die neue OLED-Switch sollte der Motivator werden. Wirklich loslegen konnte ich dann tatsächlich erst vier Wochen nach Erscheinungstermin des Spiels, in seinen Bann zog es mich dennoch sofort. Doch, ach, auch hier waren Zeit und Muße selten, und ein Spiel wie Metroid bestraft es sofort. Nichtmal, weil die Welt so komplex und verschachtelt wäre – ist sie nämlich in diesem Metrovania gar nicht – sondern, weil meine aktuelle Frustrationstoleranz maximal niedrig ist, was auf eine dann doch etwas überladene Steuerung und knackige Zwischenbosse traf.

Weiter, immer weiter.

Nun, zum Jahresende, bin ich immernoch irgendwo in Ferenia, gerade mal wieder einem E.M.M.I. entkommen, und im gefühlten unendlichen Kampf gegen einen Käfer, der mir lila Schleim entgegenschleudert. Angeblich soll ich Faceshiften oder Spinjumpen oder alles zugleich, doch bis ich die Steuerung wieder verinnerlicht habe, sterbe ich tausend Tode.

Überlicherweise ein todsicheres Rezept, um mich als Spieler zu verlieren. Doch dieses mal ist es irgendwie anders und trotz langer Spielpausen beiße ich mich weiter durch. Und frage mich, ob es mir eigentlich noch um das Spiel geht – oder eher um das verbissene Vorhaben, hier etwas selbst zu Ende bringen zu können, ganz egal, was auf mich einprasselt.


Martin: Aus der Zeit gefallen (Tales of Vesperia)

Seit dem ich mich nicht mehr hauptberuflich mit Videospielen beschäftige, merke ich mit jedem Jahr wie sich mein Bezug dazu verändert. Es erinnert ein bisschen an das Erwachsenwerden, bei dem dir auch irgendwann auffällt, dass etwas anders ist und du irgendwo nicht mehr dazu gehörst, aber dafür woanders angekommen bist. Gleichzeitig gibt es viele Erfahrungen, die immer bleiben werden. Es ist ein ganz normaler Prozess und trotzdem ist es interessant, diesen zu beobachten.

Exemplarisch dafür steht das Spiel, mit dem ich mich im Moment hauptsächlich beschäftige. Nachdem ich in diesem Jahr endlich Xenoblade Chronicles 2 inklusive der Erweiterung abgeschlossen hatte, wollte ich mich auf neues Rollenspiel stürzen und entdeckte auf der Switch meinen Kauf von Tales of Vesperia. Nach den ersten Stunden dachte ich, wie altbacken das Spiel sich anfühlt und bemerkte viele spielerische Parallelen zu Tales of Symphonia – mein Lieblingsrollenspiel aus der GameCube-Zeit. Noch dazu erinnerte mich der kleine Karol Capel zumindest optisch an Lloyd Irving. Es ist sicherlich kein Zufall, dass es später ein Kostüm gibt, dass diese Verbindung deutlicher werden lässt.

Lloyd Irving aus Tales of Symphonia (2003) links und Karol Capel aus Tales of Vesperia (2008) rechts

All das brachte mich dazu, mehr über Tales of Vesperia herauszufinden zu wollen und ich stellte überrascht fest, dass es sich nur um eine HD-Version eines Klassikers handelte und das Originalspiel bereits über zwölf Jahre alt ist und damit eher in die Zeit von Tales of Symphonia gehört als in die heutige. Und noch mehr schmunzeln musste ich, als ich herausfgand, dass Tales of Arise offenbar ebenfalls viel mit den beiden Klassikern teilt. Dieses Spiel steht hoch oben auf meiner Wunschliste und wäre für mich ein Grund für eine PlayStation 5. Bis dahin werde ich mich noch eine Weile so fühlen, als sei ich aus der Zeit gefallen und spiele gern den Opa, der Geschichten von früher erzählt, wo alles besser war.


Wir wünschen allen Leser:innen ein weniger komplexes Jahr 2022. Bleibt gesund, fröhlich, offen, tolerant, bunt – und schaut auch in diesem Jahr gerne wieder regelmäßig auf WALL JUMP vorbei. Neue Beiträge gibt es auch 2022 an jedem Mittwoch und Samstag.

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