Gamescom

Besondere Orte finden sich nicht nur in Spielen – sondern auch dort, wo Spiele stattfinden. Für hunderttausende Gamer:innen ist die Gamescom dabei seit Jahren ein absoluter Fixpunkt im Kalender. Die Warteschlangen vor den Konsolen hätten auch diese Woche wieder lang werden sollen, doch dann kam Covid-19. Ein digitales Event bot den Ersatz – und warf bei uns die Frage auf, welche Momente uns bei unseren Gamescom-Besuchen eigentlich besonders in Erinnerung geblieben sind.


Joshua Hampf

Es gibt zahlreiche Anekdoten und Abstrusitäten, die sich in den vergangenen zwölf Jahren in den Kölner Messehallen zugetragen haben. Oder beim abendlichen Feiern. Ich trinke viel während der gamescom. Aber einen einzelnen Moment aus den langen gamescom-Tagen herauszupicken, fällt mir unglaublich schwer. Ich kann mich nicht festlegen, was nun dieser eine besondere Moment gewesen sein soll, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist. Hmm. Auf der gamescom vor knapp vier Jahren hatte ich plötzlich einen Termin mit dem Chef eines äußerst bekannten Smartphone-Herstellers. Eine Mitarbeiterin am Messestand hatte mich offensichtlich verwechselt – und weil ich irgendwie den richtigen Zeitpunkt verpasst hatte um dieses Missverständnis aufzuklären, musste ich da nun eben durch. Knapp zwei Stunden saßen wir in seinem schicken Messebüro. Es gab Sekt und Häppchen. Wir sprachen über die neusten Modelle, die Smartphone-Halte-Haptik, Bildschirm-Aspect-Ratio-Dings-Größen,… – meine völlige Ahnungslosigkeit versuchte ich immer wieder durch erstauntes Wiederholen seiner vorherigen Worte zu überspielen. Irgendwie klappte das auch und wir verabschiedeten uns nach knapp zwei Stunden äußerst herzlich. Bei dieser Verabschiedung ließ mir besagter Firmenchef übrigens noch das neuste Model als Geschenk in eine Tüte einpacken.

Auch kleine, sinnfreie Augenblicke haben sich bei meinen gamescom-Erinnerungen eingenistet. Martin Kesici, der vor dem Einlass zur (etwas zu sehr glorifizierten) Sony-Standparty verzweifelt jemanden suchte, der ihm einen 50 Euro-Schein kleiner wechseln könne. Oder einmal, als ich neben Hideo Kojima (damals noch am Konami-Stand im Business Center) zu Mittag gegessen habe, mich dann aber doch irgendwann wegsetzen musste, weil mich die ständigen Autogrammwünsche der (regelrecht in den Stand stürmenden) Pressevertreter beim Essen störten. Oder die vielen „Pausen an der frischen Luft“, bei denen sich altvertraute PRler über das Verhalten ihrer zu betreuenden Entwickler („off record“) ausgekotzt haben. Oder der niederträchtige Kick Off-Erfinder Dino Dini, der seine drohende Niederlage gegen mich (4:0 zur Halbzeit) in seinem Arcade Soccer-Remake nur dadurch abwenden konnte, weil er in der Halbzeit „irgendwas im Source Code“ korrekt einstellen musste. 4:5 nach Abpfiff.

Wenn ich nun, auf Teufel komm raus, einen Moment benennen müsste, der für mich in all den Jahren besonders war, dann wäre es letztlich wohl das tolle Gespräch mit dem deutschen Adventure-Entwickler Martin Ganteföhr. Als 15-minütiges Interview angesetzt, haben wir das Gespräch über eine Stunde bei einer „Pause an der frischen Luft“ geführt. Seine Gedankensprünge, die am Schluss immer wieder den roten Faden aufgegriffen und dabei Themen wie Transhumanismus, Lohngleichheit und Entwicklerrealität behandelt haben, hallen bis heute nach. Unsere Folgetermine haben wir beide einfach sausen lassen. Mir fehlt die gamescom in diesem Jahr.

Benjamin Gildemeister

Ich war nie auf der gamescom, aber ich war mehrfach auf der Vorgängermesse in Leipzig, der Games Convention. Mitte der 2000er Jahre wurde die Akkreditierung von Pressevertretern noch etwas… anders gehandhabt. Es war eine Zeit noch kurz bevor jeder Honk eine eigene Gaming-Website hatte (heute wären es YouTube-Kanäle) und man war großzügiger mit der Ausgabe von Presseausweisen. So kam ich auf dubiosen Wegen mehrfach in den Genuss eines Presseausweises und fühlte mich wie ein König, wenn ich durch die leeren, breiten Gänge des Pressebereichs schritt, während ich durch große Glasfenster weit unter mir das Volk sah, wie es sich Richtung Eingang quetschte und drängelte. In Wahrheit war ich irgendein Dödel, dessen Zugangsberechtigung durch nichts zu rechtfertigen war. Leere Hallen, kurze Warteschlangen, exklusive Anspielstationen bei den Entwicklern – es war herrlich. Ganz besonders ist mir ein junges polnisches Entwicklerteam in Erinnerung geblieben, das einen unscheinbaren Stand inmitten des PC-Bereichs hatte. Ich und ein paar Freunde stießen zufällig darauf. Als sie unsere Presseausweise sahen, fragten sie, ob wir nicht Interesse an einer Präsentation ihres ersten eigenen Titels hätte. Ich war mäßig interessiert und wollte auch nicht die kostbare Zeit des Teams an jemanden vergeuden, der alles andere als ein Multiplikator war, aber weil das Team so sympathisch und euphorisch war und ich mein Hochstaplertum nicht enthüllen wollte, kamen wir ins Gespräch. Sie waren begeistert davon, ihr Spiel in Deutschland auf so einer wichtigen und großen Messe zu zeigen und brannten so sehr für ihr Projekt, dass ich mit einem etwas schlechten Gewissen einwilligte. Es handelte sich auch tatsächlich um Mitarbeiter aus dem Entwicklungsteam und nicht bloß die Marketingabteilung. Wir wurden in eine Art Höhle geführt, die aufwändig dekoriert war und bekamen eine liebevolle, etwa 90-minütige Präsentation des Titels, der so wichtig war für diese jungen Menschen aus Polen. Und das Spiel sah auch wirklich interessant und vielversprechend aus. Zum Ende erhielten wir noch ziemlich wertige Goodies wie ein Mauspad aus Leder, das ich bis heute besitze und wir verabschiedeten uns dankbar und fröhlich von diesen überaus netten Menschen. Ich empfand sie als naiv und hoffte, dass die brutale Industrie sie nicht zermahlen würde und sie sich nicht mit dem Messestand überhoben hatten. Und ich hoffte, dass es ein paar echte Journalisten geben würde, die sich dorthin verirrten und dann vielleicht wirklich ein paar Zeilen über diesen ambitionierten Titel verlieren würden. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich sicherlich falsche Hoffnungen geweckt hatte, nachdem das Team so viel Zeit für eine Gruppe von Nerds aufgewendet hatten, ohne irgendeine Form von Ertrag zu erlangen. Ich habe diese Episode nie vergessen, aber mein schlechtes Gewissen hat sich inzwischen ein wenig gelegt, nachdem CD Project Red mit der Witcher-Franchise dann doch den einen oder anderen Euro verdient hat.

Thomas Steuer

Ich weiß nicht mehr, ob es auf der gamescom 2009 oder 2010 war, als ich – damals noch im Dienste eines gewissen Vorgängermagazins von WALL JUMP – zu einem Pressetermin bei Entwicklerlegende Peter Molyneux geladen war. Es war jedenfalls ein drückender Sommertag und wir zwängten uns für den Termin mal wieder zu zehnt in einen dieser typischen, viel zu engen Meetingräume im so genannten Business Center der Kölnmesse. Thema war ein Hintergrundgespräch zur anstehenden Veröffentlichung von Fable 3, dessen beide Vorgänger ich abgöttisch geliebt hatte und über dessen Release ich mich vermutlich auch bei 40 Grad in einer schlecht klimatisierten Besenkammer selbst in Zeiten von Corona nur allzu gerne mit Herrn Molyneux unterhalten hätte. Die Aussichten auf ein angemessenes Maß an journalistischer Distanz hätten an jenem Tage deutlich besser sein können, sie sollten in den nächsten Minuten aber auch nicht mehr besser werden. Wir traten ein, ich nahm zu Molyneuxs Linken Platz und der Maestro ließ sich zunächst reihum beantworten, wer der anwesenden Journalisten denn mit dem Fable-Franchise vertraut sei und inwiefern. Entgegen des Uhrzeigersinns trudelten die mäßig enthusiastischen Antworten ein. „I played a little bit of the first one…“, „a quest or two in the second one…“, „don’t even have an Xbox…“ – Die Anstrengung in Molyneuxs Gesicht war angesichts der Vielzahl an Kunstbanausen, die offenbar nur hier waren um seine Zeit zu verschwenden, kaum zu übersehen. Als ich schlussendlich an der Reihe war, sollte sein Martyrium ein abruptes Ende finden. „Played through both of them“ antwortete ich, sehr zur Erleichterung des Fable-Schöpfers, der es sich nicht nehmen ließ, der Runde mitzuteilen: „See? This is what a real games journalist looks like.“ An das anschließende Roundtable-Interview kann ich mich heute nicht mehr entsinnen. Zu sehr überwiegt die Erinnerung an einen vermeintlichen Ritterschlag, der möglicherweise auch mit einem sarkastischen Unterton einherging, den mein Unterbewusstsein bis heute erfolgreich unter Verschluss hält. Die Einschätzungen der Designerlegende waren jedenfalls damals schon nicht mehr unangefochten. Zu viele leere Versprechungen hatte Peter Molyneux hinsichtlich seiner zurückliegenden Spieleprojekte gemacht. Fable 3 konnte letztlich in keiner Weise an seine tollen Vorgänger anknüpfen und der „real games journalist“schreibt heute nur noch gelegentlich über die schönste Nebensache der Welt. Dem Hype auf ein neues Molyneux-Spiel ist er seitdem zwar nie mehr erlegen, über die Ankündigung des vierten Fables hat er sich aber trotzdem gefreut.

Matthias Mirlach

Die Gamescom ist für mich ein fester Termin in meinem Kalender. Seit nun praktisch 20 Jahren arbeite ich in der deutschen Spielebranche, 18 Jahre davon durfte ich nach Leipzig oder Köln, Spiele präsentieren und Termine wahrnehmen. Dabei beginnt die Gamescom für mich eigentlich schon immer im Februar: So früh im Jahr werden die Budgets und Themen festgelegt, Messebauer ausgewählt und Standkonzepte entwickelt. Die fünf Tage in Köln sind dann quasi der extreme Höhepunkt. Egal wie früh man plant und wie groß das Team ist: Fertig wird man erst in der letzten Sekunde. Und wenn dann alles steht, folgen lange Tage voller Meetings. Viele meiner Branchenkollegen blicken daher mittlerweile eher skeptisch auf die Gamescom: Zu groß! Zu teuer! Zu voll! Im Business-Center genießt man lieber das Catering und überbietet sich darin, möglichst früh wieder abreisen zu wollen. Wie der Stand drüben, im Konsumenten-Bereich so ankommt? Kann man mit einem Blick auf den Screen in der Ecke erahnen, der ein Livebild streamt. Ich hingegen bin eigentlich immer möglichst lange auf der Messe geblieben. Der Samstag ist dann mein Tag: Alle Kollegen sind weg, ich schiebe mich mit dem Strom durch die Hallen und spiele die schon beinahe traditionelle Partie Pro Evolution Soccer gegen den WALL JUMP-Herausgeber Joshua. Und eigentlich sind es auch genau diese Momente, die berufsbildend auf mich wirken: Während ich das ganze Jahr aus Zielgruppen-Analysen und Marktstudien Kampagnen für das Idealbild eines Kunden, der möglichst viele Euros für möglichst viele Spiele ausgeben will, entwickle, sehe ich hier die Fans, die ihr Hobby ausleben.
Nun, dieses Jahr ist alles anders. Und so professionell die Opening Night Live im Livestream inszeniert wurde, so langsam wird allen klar: Zwischen den Trailern und der Red-Bull-Werbung fehlen die Gamer:innen in den digitalen Inszenierungen eines Events dann doch ziemlich. Ich hoffe, die nächste Gamescom ist dann doch wieder in Köln. Schließlich muss ich ja auch meinen PES-Titel aus 2019 verteidigen…

Martin Eiser

Es ist nicht einfach einen besonderen Moment herauszufiltern, weil die Messe immer mit einer reichhaltigen, aber dennoch angenehmen Mischung aus Interviews und Präsentationen aufgewartet hat. Trotzdem gab es im Jahr 2014 einen ganz besonderen Termin, der mich in einer Art und Weise berührt hat, so dass ich mich noch heute an das Gefühl erinnern kann, das mich damals durchfahren hat. Schon zuvor war ich sehr neugierig, weil ich das junge Team um Sean Murray mochte. Ein paar Jahre zuvor haben sie einen eigenen, kleinen Stand gemietet. Sie haben ein Auto vollgepackt und einen Road-Trip nach Köln unternommen – nur um ihr kleines Meisterwerk Joe Danger dem Publikum auf der Messe zu präsentieren.

In diesem Jahr jedoch wollte Hello Games etwas Großes enthüllen. Und als Sean mit seiner Präsentation begann, konnte ich hören, wie nervös er war. Das neue Projekt basierte auf einer Idee, die sie schon sehr lange hatten. Sie brauchten Joe Danger, weil es ihnen Geld und Aufmerksamkeit brachte, um das neue Spiel finanzieren zu können. Es war eine Idee über das Schaffen einer besseren und schöneren Zukunft. Sean wuchs in einer Generation auf, in der ständig behauptet wurde, die Menschheit hätte alles versaut. Sein Team hasste diesen dystopischen Blick auf die Zukunft. Sie haben das einfach ganz anders gesehen. Also wollten sie dem Spieler dieses außergewöhnliche Gefühl geben, etwas zu entdecken, was noch niemand auf der Welt je zuvor gesehen hat – unbekannte Planeten, völlig neue Welten mit einzigartier Flora und Fauna. Es sollte dir die Möglichkeit geben, ein echtes Abenteuer zu erleben und zum Entdecker zu werden. Wahrscheinlich wollte Sean damals nicht übertreiben, weil er es nicht mit dem Gefühl verglichen hat, das erste Mal den Mond zu betreten. Dennoch wollten sie mit dem Spiel Grenzen sprengen, denn es würde so viele Planeten geben, dass manche für immer unentdeckt bleiben würden. No Mans Sky wollte eine Zukunftsvision bieten, nach der wir uns sehnen sollten. Es klang großartig. Und genau diese Erfahrung konnte das Spiel auch wirklich transportieren.

Leider fand irgendwer, dass dies nicht genug sein würde, um das Spiel zu verkaufen und entschied mehr zu versprechen, als das kleine Team in so kurzer Zeit liefern konnte. Doch falls wirklich Leute sauer darüber waren, nicht das komplette Paket zum Launch zu bekommen, dann wussten sie offenbar nicht zu schätzen, was sie bekommen haben – eine wunderschöne Ode an die Neugier, das Träumen und die Zukunft.

Daniel Bienefeld

Skurril. So würde ich einen meiner besonderen gamescom-Momente rückblickend beschreiben. Ich hatte einen Termin beim Entwickler Free Live Games, die Pressevertretern ihr erstes Spiel präsentieren wollten: Broforce. Mein erster Eindruck nach kurzer YouTube-Recherche war recht positiv und dennoch waren meine Erwartungen, es war immerhin das erste Videospiel eines kleinen Indie-Entwicklers, eher gedämpft. Vermutlich ein kurzweiliger, aber wenig fesselnder Run-and-Gun-Plattformer. Mit positiver Grundstimmung, aber in der leisen Erwartung eines Pressetermins nach Schema F, ging es zum Stand von Publisher Devolver Digital. Was mir dort in der folgenden halben Stunde geboten wurde, sprengte dann allerdings jegliche Erwartungshaltung. Hier wurde nicht in typischer PR-Manier erklärt, warum es sich bei Broforce um ein gutes Spiel handelt – hier wurde man mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl grün und blau geschlagen um davon überzeugt zu werden, dass es sich bei Broforce um ein grandioses Meisterwerk handelt! Zu Beginn verlangten die beiden Entwickler ein spektakuläres High-Five und erklärten mir anschließend, dass im Spiel alles komplett zerstörbar sei, „bis auf die amerikanische Flagge und der Grund auf dem sie steht.“ Achja, und ich solle doch bitte „alles töten“. Und zwar unbedingt „spektakulär“.

Wer Broforce selbst mal gespielt hat weiß, dass die wilde Ballerei und das schnelle Gameplay schon so genug für den Adrenalinhaushalt tun. Doch bei diesem Pressetermin wurde ich von den beiden Entwicklern für jede einzelne Aktion unverhältnismäßig, wild und lautstark (die Nebensitzer:innen schielten neidisch auf meine private Broforce-Party) gefeiert – inklusive leidenschaftlich zelebrierter High-Fives im Sekundentakt. Warum ich es genossen habe, dass mir die zwei Entwickler zudem noch ständig „KILL, KILL, KILL!“ in beide Ohrmuscheln geschrien haben, kann ich letztlich auch nicht zufriedenstellend beantworten. Ich habe mich aber bei keinem anderen gamescom-Termin jemals wohler gefühlt…

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