All That Jazz

Welten zu inszenieren und emotionale Hooklines zu liefern, ist schwierig. Wie Indie-Studios das anstellen, die mit Ressourcenknappheit und existenziellen Abhängigkeiten jonglieren müssen, ist zuweilen faszinierend. Viele Kleinodien kommen aber über die Anmutung einer hochpolierten Demo dann doch nicht hinaus. Gut gemeint, schön gemacht, aber sein Herz (oder viel Zeit) verliert man daran nicht. Ein Gefühl wie ohne Nachtisch ins Bett.

Mein gemischt-gamifizierter Freundeskreis redet, wenn dann, doch eher über die teuren Installments, die Assasin’s Creeds, GTAs und Uncharteds. Beim gemeinsamen Spielen haben sie für Party-Slash-Multiplayer-Konzepte wie What The Golf, Monaco oder Castle Crashers ein respektvolles Nicken übrig, der Couch-Coop endet dann aber doch bei Mario Kart, vielleicht einem retroschwangeren Plattformer oder eben FIFA.

Ape Out von Devolver Digital aber nimmt einen besonderen Platz in diesem Kategorienzirkus ein. Es explodiert förmlich aus dem Medium heraus und gräbt sich tief ins limbische System, so dass man sich fragen muss, wie und womit das Spiel es schafft, so ein Gefühl zu erzeugen.

Denn auch und gerade Menschen, die sonst wenig mit (aktivem) Videospielen zu tun haben, finden erschreckend schnell ins Spiel. Das ist sozusagen ein belegbare Tatsache. Als ich den Controller neulich für eine Runde Ape Out an meine Freundin weiterreichte, konnte ich im Minutentakt Beweise sammeln, die diese These stützen. Hier ein paar Auszüge.

Beweisstück M-1: Bewegungen

Ape Out spielt sich auf zwei Dimensionen ab. Die dritte Dimension der Tiefe, eine überzogene Raum-von-oben-Fluchtpunkt-Perspektive (vgl. Beweisstück DMA-97 GTA), ist allerdings keine Deko. Diese Gebäude sind Mauern, Gitter, Glas, und sie werden gesprengt. Das ist jeder Spieler*in vom ersten Knopfdruck an klar. Zwar ändert sich das Spielgeschehen nicht wirklich, wenn man dabei den Kopf neigt, den Controller schüttelt, schwenkt oder wirft – doch es prägt die Spielerfahrung. Meine Freundin konnte bis zum Ende nicht von diesen Reflexen ablassen. Und das mit voller Zufriedenheit.

Beweisstück 24: Lautmalerei

Man sagt, in echter Immersion verliere man den Bezug zum Hier und Jetzt. Als die Frau am Controller anfing, mit jedem zerfetzten NPC lautere, tiefere Geräusche von sich zu geben (und Worte im engeren Sinne waren das nicht) war ich nie mehr von dieser These überzeugt. Unwillkürlich fragte ich mich, ob ich nicht schon immer etwas am Gaming missverstanden habe, da ich diese Laute von mir nicht kannte. Oder habe ich mir selbst bloß nie zugehört?

Beweissstück B: All That Jazz

Oh my god, diese Beats. Der Sound von Ape Out ist kein popliges Dynamic Music System mehr, es ist ein spielgewordenes Drum-Solo – dabei aber kein fertiges Werk, dem man nur beiwohnt. Der Dschungel aus Rimshots, Crashes und Licks, dieser Rhythmus, war der meiner spielenden Freundin. Eine kongeniale Jam-Session, eine spontane Melodie aus atonalen Akzenten. Zu einer ekstatischen Spirale anwachsend, war diese Performance das taktgebende „That“ in „All That Jazz“.

Beweisstück <3: Narrativ

Sehr einfach formuliert folgt die Erzählung von Ape Out mindestens drei Motiven. Erstens: Erstmal selber raus. Zweitens: Bitte alle raus, die raus wollen. Drittens: Wieder rein, damit die, die wir zurück lassen mussten, ebenfalls raus können. Koste alles, was es wolle. Ein dramaturgischer Bogen vom Ich übers Wir zum Akt aus Liebe. „Romantisch“ mag das falsche Wort dafür sein, aber eine Träne der Rührung konnten wir uns beide nicht verkneifen, als der kleine Ape auf den Rücken des großen Apes sprang und beide gemeinsam einer Blutspur des vorigen Chaos folgend wieder ins Out entkamen. Morbide, vielleicht, aber fuck this shit, we’re out of here!

Bleibt zu erwähnen, dass sich trotz Niederlagen und zahlreicher Resets der Puls so anfühlte wie die ewig-aufgewühlten Texturen des Spiels aussehen. Natürlich kann man Ape Out auch allein für sich spielen. Natürlich kann man auch alleine in den Club gehen. Es aber nie gemeinsam zu versuchen wäre affig.

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