David Cage

Bereits mit Fahrenheit erregte das Entwicklerstudio Quantic Dream im Jahr 2005 eine Menge Aufsehen. Neben den Spielerinnen und Spielern erkannte auch Sony das Potential und sicherte sich die Exklusivrechte an deren nächstem Projekt: Heavy Rain wurde zu einem riesigen Erfolg. Im Anschluss daran folgten Beyond: Two Souls und Detroit: Become Human, die ebenfalls exklusiv auf den Sony-Konsolen erschienen. David Cage ist der kreative Kopf der Entwicklerschmiede, der seine Videospielphilosophie unaufhaltsam und unbeirrt vorantreibt. Er gehört zweifelsfrei zu den interessantesten Vertretern seiner Zunft und nahm sich auf der gamescom lange Zeit, um unsere Fragen zu beantworten. Entstanden ist ein spannendes und sehr persönliches Interview, in dem er über Selbstzweifel, seine Angst vorm Scheitern, über schizophrene Arbeitsabläufe spricht – und auch über Spiele, die die Welt ein bisschen verändern können.

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Vorwürfe gegenüber David Cage / Quantic Dream

Als Macher narrativer Gaming-Blockbuster hat David Cage viel positive Kritiken erhalten – es gibt jedoch gerade zur Darstellung der Frauen-Figuren in seinen Spielen zahlreiche negative Stimmen, die wir an dieser Stelle nicht unterschlagen wollen. Eine umfangreiche Darstellung fragwürdiger Spielszenen hat Kotaku in seinem Artikel „David Cage Games Keep Treating Women Like Shit“ 2018 dargestellt, den wir hier als ergänzende Lektüre empfehlen: https://kotaku.com/david-cage-games-keep-treating-women-like-shit-1826550592
Auch das Studio Quantic Dream sah sich in der Vergangenheit mit Vorwürfen hinsichtlich toxischer Arbeitsbedingungen konfrontiert. Einen Überblick dazu bietet Venturebeat: https://venturebeat.com/2020/02/27/how-quantic-dream-defended-itself-against-allegations-of-a-toxic-culture/


Wall Jump: Ihr Name ist sehr eng mit den Schlagwörtern “emotional games” („emotionale Spiele“) oder „games for a mature audience“ („Spiele für ein erwachsenes Publikum“) verknüpft. Sind Sie glücklich damit und sehen Sie sich in diesem Bereich gar als eine Art Pioneer?

David Cage: (lacht) Nein, ich sehe mich selbst nicht als Pioneer. Weißt du, wenn man intensiv an einem Projekt arbeitet, hat man gar nicht die Zeit die Dinge von Außen zu betrachten und zu sagen: „Okay! Das ist es, was ich bin. Das ist es, was ich tue.“ Man tut es einfach vom einen auf den anderen Tag. Außerdem schaue ich nicht gerne zurück, sondern lieber nach vorne. Das ist wichtig, um nicht den Fokus auf das zu verlieren, was ich versuche zu erreichen. Wenn Leute denken, dass meine Werke innovativ und interessant sind, dann freut mich das selbstverständlich. Aber ich tue einfach nur das woran ich glaube. Das ist es, was mich und meine Arbeit antreibt.

Wall Jump: Der Begriff „Emotion“ ist durchaus vielschichtig. Man fühlt Angst, wenn man von einem Zombie gejagt wird und man wird sauer, wenn man diesen blöden Sprung am Ende des Levels einfach nicht schafft. Das ist allerdings nicht die Art von Emotionen, die Sie in erster Linie beim Spieler hervorrufen möchte.

David Cage: Das stimmt, Videospiele können unterschiedliche Arten von Emotionen hervorrufen können. Aber in den letzten zwanzig Jahren – und ich denke verstärkt in den letzten zehn Jahren – beschränken sich Videospiele auf einen sehr kleinen Teil von Emotionen. Es geht meist darum Aufregung, Frustration, Ärger und Angst hervorzurufen – das ist im Grunde wirklich alles. Doch wenn man sich all die Emotionen vor Augen ruft, die wir im echten Leben aber auch in Filmen, im Theater und durch Literatur fühlen, dann erkennt man plötzlich umso deutlicher, dass Videospiele wirklich nur auf diesen sehr kleinen Teil der „Emotionspalette“ fixiert sind. Warum das so ist? Keine Ahnung. Vielleicht liegt es daran, dass viele Videospiele vor allem die mechanischen und technischen Elemente in den Vordergrund stellen,…und nun ja, in vielen Spielen geht es eben nun einmal um gewaltsame Action. Es geht die meiste Zeit darum jemanden zu töten oder etwas zu zerstören. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden, denn es gibt eine Menge Spieler denen genau das gefällt. Ich denke allerdings, dass es fantastische Welten gibt, die es zu entdecken gilt – mit deutlich vielseitigeren und tiefgründigeren Emotionen. Das zu bewerkstelligen ist möglicherweise schwieriger und stellt eine größere Herausforderung dar – aber es ist eben auch viel interessanter.

Wall Jump: Können Sie ein Spiel nennen, dem Sie die genannten Merkmale zuschreiben würden und bei dem Sie eine emotionale Verbindung gespürt haben?

David Cage: Ich habe Papo & Yo sehr genossen und es gehört definitiv zu meinen Lieblingsspielen der letzten Jahre. Das Team dort hat einen fantastischen Job gemacht! Sie haben dabei nicht nur mit Emotionen gespielt, was natürlich eine wichtige Rolle spielt, sondern mit etwas, was nur sehr wenige Leute machen: Sie haben mit Bedeutung gespielt – die Spielerfahrung war bedeutungsvoll. Die Geschichte war sehr persönlich, sie war bewegend und gab dem Spieler Stoff zum Nachdenken,… und man war nach dem Ende nicht mehr derselbe Spieler wie vor dem Spiel,… das Spiel hat dich ein bisschen verändert. Genau das ist es, was ich liebe! Ich meine, genau das ist es, was wir tun sollten!

Natürlich gibt es Spiele die einfach nur unterhalten wollen und bei denen es im wahrsten Sinne des Wortes um Spielspaß geht – und das ist gut so! Aber ich bin eben eher an Spielen interessiert, die die Welt verändern können. Spiele die den Spieler verändern können. Das wünsche ich mir von Spielen und ich weiß, dass es einige Leute gibt, auch wenn es nicht die Mehrheit der Spieler ist, die sich das ebenfalls wünschen. Nicht jeder Spieler möchte einfach nur schießen und zerstören.

Aber ich bin eben eher an Spielen interessiert, die die Welt verändern können. Spiele die den Spieler verändern können.

David Cage

Wall Jump: Wenn Sie gerade von ihren eigenen Erfahrungen sprechen: Heavy Rain gründete auf ihren Erfahrungen als junger Vater. Welche Erfahrungen bildeten das Gerüst von Beyond: Two Souls?

David Cage: Weißt du, während der Arbeit an Fahrenheit, aber vor allem während der Arbeit an Heavy Rain habe ich festgestellt, dass ich als Spieleautor über mich selbst schreiben kann. Für mich war das eine wirklich große Entdeckung! Für Autoren aus den Bereichen Literatur und Film scheint das eine viel größere Selbstverständlichkeit zu sein, während es im Bereich der Videospiele eher selten festzustellen ist. Und ja, in Heavy Rain flossen vor allem meine persönlichen Erfahrungen als junger Vater ein – also die außergewöhnliche Beziehung die man zu seinem Sohn hat und auch die Frage was Liebe an sich bedeutet. Beyond: Two Souls basiert auf einer anderen persönlichen Erfahrung, die allerdings alles andere als angenehm war: Ich habe jemanden in meiner Familie verloren dem ich sehr nahe stand. Das hat dazu geführt, dass ich mich aus unterschiedlichen Sichtweisen mit dem Tod auseinandergesetzt habe – nicht nur aus dieser niedergeschlagenen, deprimierten Perspektive. Es ging mir vor allem darum, wie wir über den Tod reden können und was möglicherweise auf der anderen Seite sein könnte…

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Wall Jump: …eine Geschichte für ein Videospiel auf dieser Grundlage zu entwickeln, klingt deutlich fordernder, als sich mit einer simplen „Held-Rettet-Prinzessin“-Story zu befassen. Wie muss man sich den Entwicklungsprozess in diesem Fall vorstellen?

David Cage: Hmm, es ist eine merkwürdige Erfahrung so etwas zu schreiben. Auf der einen Seite versucht man all seine Kreativität in die Waagschale zu werfen, auf der anderen Seite darf man nicht vergessen auch seine rechte Gehirnhälfte mit einzubringen, sprich: Du musst in diesem kreativen Prozess auch strikt organisiert sein. Klar, du möchtest zwar verrückt und kreativ sein, aber du musst gleichzeitig eben auch sehr geordnet und planvoll vorgehen, denn es gibt bestimmte Rahmenbedingungen die man nicht außer Acht lassen darf – auch an die technische Umsetzbarkeit muss man stets denken. Es ist also ein sehr schizophrener Prozess in dem man sich da befindet,… du musst dich quasi zweiteilen.

Die Grundlage für die Arbeit an einem neuen Projekt bildet meist eine sehr einfache Idee. Im Falle von Beyond: Two Souls sagte ich mir zu Beginn: „Okay, ich schreibe etwas über ein Mädchen mit einem Schutzengel.“ Ein sehr simples Konstrukt, bei dem ich mir vorstellen konnte, wie die Spielmechaniken funktionieren würden,… also wie man beispielsweise von einem zum anderen Charakter wechseln könnte. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, welche Geschichte ich erzählen möchte. Du siehst, alles sehr simpel und überschaubar zu Beginn…

Wall Jump: …wenn dem Quantic Dream-Team zu Ohren kommt, dass Sie an einem überschaubaren und kleinen Projekt arbeiten, bekommen sie es dort mit der Angst zu tun?

David Cage: (lacht) Nun ja, mittlerweile haben sie keine Angst mehr, weil sie ja nur zu gut wissen, dass es in einem großen Projekt enden wird. Aber ja, im Normalfall beginne ich mit einer einfachen, kleinen Geschichte. Für mich ist an diesem Schreibprozess besonders interessant, dass dir erst am Ende eines Schreibzyklus klar wird, was du eigentlich zu sagen hattest. Es ist ein sehr unbewusster Prozess. Du denkst zwar, du wüsstest was du schreibst, aber am Ende des Tages liest du dir das Geschriebene durch, stutzt und sagst zu dir selbst: „Moment mal, das ist nicht, was ich geschrieben habe! Ich dachte es sollte lediglich eine Geschichte über ein Mädchen mit einem Schutzengel sein.“ Erst am Ende des Tages wurde mir bewusst, dass ich über das Erwachsenwerden sprechen wollte,… über Lernen, über das Akzeptieren von dem wer du bist, aber auch wie die verschiedenen Einflüsse und Ereignisse in deinem Leben dich zu dem machen was du bist. Es handelte von Leid, Kummer und Tod,… von der Frage, was auf der anderen Seite ist. Das Skript war vermutlich weitaus bewegender als ich es mir ursprünglich vorgestellt hatte. Und ja… toll! Das ist eine faszinierende Sache, denn es ist in quasi deine innere Stimme die sich durch das Schreiben ausdrückt,… die ungefiltert ausgesprochen wird.

David Cage mit Ellen Page und Willem Dafoe am Set von Beyond: Two Souls

Wall Jump: Wie groß ist die Gefahr von Rückschlägen bei einem solchen Projekt? Gibt es Tage an denen man zweifelt?

David Cage: Oh ja,… die ganze Zeit! Jeden Tag! Und nicht nur während dem kreativen Schreibprozess. Weißt du, manche Leute denken, dass ich mir sehr sicher bin bei dem was ich mache,… dass ich keinen einzigen Augenblick zweifle. Das ist absolut nicht der Fall,… ich zweifle jeden Tag. Ich hinterfrage die Sachen, die wir tun und wie wir sie tun,… buchstäblich jede einzelne Minute. Das mag auch daran liegen, dass wir kaum Vorbilder für unsere Arbeit haben – wir können uns nicht auf andere Spiele beziehen und sagen: „Ah, so haben die es umgesetzt… vielleicht wäre es auf diese Weise besser…“ Wir sind ziemlich auf uns alleine gestellt, da wir quasi eine neues Genre geschaffen haben und tagtäglich versuchen selbst herauszufinden, welche unserer Ideen und Entscheidungen die besten und sinnvollsten sein könnten.

[…] ich zweifle jeden Tag. Ich hinterfrage die Sachen, die wir tun und wie wir sie tun,… buchstäblich jede einzelne Minute.

David Cage

Wall Jump: Gibt es denn überhaupt einen Zeitpunkt an dem diese Zweifel aufhören? Vielleicht nach der Veröffentlichung des fertigen Produkts?

David Cage: Nein, die Zweifel bleiben bestehen. Hinzu kommt, dass mit der Fertigstellung eines solchen Projekts eine sehr deprimierende Zeit beginnt. So war es bei Heavy Rain und so war es auch bei Beyond: Two Souls – denn solch ein Projekt wird im Laufe der Zeit zu deinem Baby. Aber du weißt eben nie genau, was die Leute von deinem Baby halten. Natürlich wünschst du dir, dass sie es mögen und du wärst deshalb so unglaublich enttäuscht und traurig, wenn sie es nicht mögen würden…

Wall Jump: Lassen Sie mich zwei Zitate anführen: „Fahrenheit ist ein Gesamtkunstwerk und das wichtigste Spiel unserer Zeit.“ – „Heavy Rain ist eine beeindruckende Erfahrung, die immer einen Platz in den Herzen der Videospieler haben wird.“

David Cage: (lacht) Das sind wirklich sehr, sehr schöne Zitate und ich wünschte mir, das wäre das, was jeder darüber geschrieben hätte. Aber am Beispiel von Heavy Rain gab es auch ganz andere Meinungen. Einige Spieler haben es aber wirklich geliebt und wir sind stolz darauf, dass sich Heavy Rain bis heute so gut verkauft hat. Noch heute erhalten wir Feedback von Spielern, die Heavy Rain erst kürzlich zum ersten Mal gespielt haben. Oft hören wir auch Dinge wie:„Ich habe das Spiel mit meiner Frau / Freundin gespielt – es war das einzige Spiel, das wir bislang zusammen gespielt haben!“ Diese Geschichte liebe ich besonders, weil…

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In den Spielen von Quantic Dream werden Spielerinnen und Spieler oft mit Dilemma-Situationen konfrontiert – die Entscheidungen haben dabei Einfluss auf die Story.

Wall Jump: …Fahrenheit und Heavy Rain in gewisser Weise tatsächlich Multiplayer-Spiele sind…

David Cage: …ja, vollkommen richtig! Denn wir kreieren eine Spielerfahrung, die mit mehreren Leuten geteilt werden kann – auch mit Leuten, die normalerweise keine Videospiele spielen. Darauf bin ich wirklich stolz.

Wall Jump: Normand Corbeil starb 2013 nach kurzer Krankheit mit nur 56 Jahren. Sie haben lange Zeit mit ihm gearbeitet und er hat mit seinen Kompositionen sicher einen großen Teil zum Erfolg beigetragen. Es wirkte fast so, als hätten sie sich bei der Arbeit blind verstanden…

David Cage: (sichtlich betroffen) …wir haben bei Fahrenheit angefangen mit Normand zu arbeiten. Er hat einige Stücke zum Soundtrack beigetragen. Er hat fantastische Arbeit geleistet und wir wussten sofort, dass wir bei Heavy Rain unbedingt wieder mit ihm zusammen arbeiten wollen,… und er hat erneut fantastische Arbeit geleistet. Normand war unbeschreiblich nett, er war ein angenehmer Mensch,… wahnsinnig talentiert und ein sehr bewegender Kerl. Als die Arbeiten an Beyond: Two Souls begannen,… natürlich musste es Normand sein… wer sonst?! Also haben wir mit der Zusammenarbeit begonnen,… er schrieb einige Tracks… und eines Tages erreichte uns ein Anruf von ihm,… er sagte: „Ich verlasse gerade den Arzt. Ich werde wohl in drei, vier Monaten nicht mehr hier sein. Es tut mir Leid, aber es wird mir nicht möglich sein weiter an…“ – es war ein riesiger Schock für uns. Wir waren unsagbar traurig,… haben oft angerufen um uns nach seinem Gesundheitszustand zu erkundigen. Es gab eine Zeit, in der er und wir wieder Hoffnung schöpften, aber… ich erinnere mich noch an unser letztes Telefonat. Wir sprachen darüber, was für eine tragische und seltsame Situation es doch sei, dass wir an einem Spiel über Tod arbeiten… – ein paar Tage später starb Normand.

Wall Jump: Ist etwas von seinen Stücken in Beyond: Two Souls zu hören?

David Cage: Wir haben die Stücke nicht in das Spiel integrieren können, weil wir einen in sich geschlossenen Soundtrack benötigten. Er hat zwar ein paar großartige Stücke geschrieben, aber sie sind nicht im Spiel zu hören… (Stille) Normand war ein beeindruckender Mensch und wir sind sehr traurig über seinen Tod,… wir haben ihm eine Zeile im Spiel gewidmet.

Wall Jump: Vielen Dank für das interessante Interview und die Zeit, die Sie sich dafür genommen haben.

David Cage: Sehr gerne und vielen Dank für die interessanten Fragen.


David De Gruttola, besser bekannt unter seinem Pseudonym David Cage, ist ein französischer Videospieldesigner und Gründer / Autor / Regisseur bei Quantic Dream. In den letzten 20 Jahren hat er eine Reihe emotionaler und innovativer Spiele wie Indigo Prophecy, Heavy Rain, Beyond: Two Souls und Detroit: Become Human geschrieben und Regie geführt.

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