Was ich vorher nicht ahnte aber hinterher gewusst haben will


Spoiler-Alarm zum Ende von Final Fantasy 7 Remake


Für diesen Boss habe ich bestimmt ungeheure 20 Anläufe benötigt: Sephiroth aus Final Fantasy 7 Remake. Jeder meiner Versuche, abgesehen vom letzten, endete mit Frust und dem Gefühl, Opfer einer zutiefst ungerechten Willkür zu sein. In dieser Gefühlslage liegt der Fehler natürlich immer beim Spiel. Nie wieder würde ich es, einmal endlich abgeschlossen (denn ich kann Sachen nicht unfertig liegen lassen), ansehen, geschweige denn spielen. Zeter und Mordio, verflixt und zugenäht, welch beispiellos schlechtes Gamedesign! Bis Sephiroth fällt. Und mit ihm mein Wall aus Frust und Wut.

Warum können solche energischen Gefühle innerhalb von Sekunden verpuffen? Ich glaube die Antwort darauf ist verwandt mit dem Mysterium, warum jemand hunderte Stunden in ein Spiel stecken kann, um es am Ende doch nur so mittel gefunden zu haben. Wir sehen die Dinge am Ende anders als zu Beginn oder mittendrin. 

Aus der Psychologie wissen wir, dass wir uns selbst nicht trauen können. Wir erinnern Erlebtes falsch, füttern dauerhaft unsere Voreingenommenheit und haben keine Ahnung, was uns eigentlich glücklich macht. Ich hatte zum Beispiel keine Ahnung, dass mich das Hochgefühl, endlich diese Frustwand durchbrochen zu haben, so erfreut, dass ich direkt noch einmal von Vorne loslegen wollte.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Spiel während des Erstdurchgangs unglaublich zäh wirkt, nur um sich mir nach seinem Ende emotional zu öffnen. Wobei, eigentlich bin ich es, der sich öffnet, nicht das Spiel. Metal Gear Solid: Snake Eater hatte ich erst richtig verstanden, als der Abspann lief. Vermutlich hat das auch etwas mit dem Genre zu tun, denn bei Stealth-Spielen ist es von unschätzbarem Vorteil, Layouts und NPC-Waypoints schon vor dem Levelbeginn zu kennen. Einen größeren Effekt aber rechne ich kognitiver Trickserei an: Diese gewaltige, stundenlange Herausforderung liegt nun hinter mir, ich habe sie erfolgreich gemeistert. Und etwas gemeistert zu haben, im englischen gibt es dafür das wunderbare Wort „Mastery“, ist ein erhabenes Gefühl. Ab sofort tanzt das Spiel nach meiner Pfeife, nicht umgekehrt. 

Es ist mir durchaus schon gelungen, den Schwierigkeitsgrad von Spielen zu senken oder das Weiterspielen ganz sein zu lassen, ohne an verletzter Eitelkeit zu leiden. Allerdings schließt sich, zumindest mit dem Rage-Quit-Forever, auch eine Tür zu allem anderen, was das Spielerlebnis vielleicht zu bieten gehabt hätte. Zum Beispiel das Metagame. Strategietipps, Tricks, Trivia, Insights, Austausch und bedeutungsschwangere Theorien sind Teil von komplexen Spielwelten wie der eines Final Fantasys. Ein Narr, der glaubt, Gamedesigner hätten das nicht auf dem Schirm. Dass die Fuck-You-Sephiroth-Willkürs-Frustgranate eigentlich gar keine Willkür war, fand ich erst durch das Studieren von Wikis heraus. Und ich kann mich dem Gedanken nicht verwehren, dass das sogar von der Idee her, wenn schon nicht so geplant, dann zumindest einkalkuliert war.

Jetzt, wo ich weiß, was mich erwartet, mein Selbstvertrauen solide und mein Wissen über die versteckten Mechaniken größer ist, gehe ich das New Game Plus von FF7 Remake nicht als monolithischen Arbeitsauftrag, sondern als Sport an. Als Fun-Sport, irgendwo in der Amateur-Liga, wenn überhaupt. Aber immerhin sportlich. Wer weiß, vielleicht lerne ich noch ein paar Tricks oder wieder etwas über mich selbst. 


Final Fantasy 7 Remake ist die Neu-Interpretation des Klassikers von Square aus dem Jahre 1997. Initial 2020 für die PS4 erschienen, diesmal von Square Enix entwickelt, ist es ein besonderes Beispiel, wie eine Neuauflage funktionieren kann, ohne ausschließlich auf den Nostalgie-Effekt zu setzen. Mit einem Endgame-Retcon, der tatäschlich clever und sinnhaft erscheint, bildet FF7 Remake allerdings nur ca. ein Drittel der Original-Erzählung ab. Eine Fortsetzung befindet sich bereits in Entwicklung.

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