Grünes Rauschen

Was mir zu diesem Artikel fehlt, ist ein knackiger Einstieg. Irgendwas über Ausbeutung und Erziehung, Politik und Geld. So viel möchte ich über den Prototypen von Terra Nil sagen, der mir vor kurzem nicht nur Spaß gemacht sondern auch einige Grundsätze in Frage gestellt hat. Doch ich muss mich entscheiden und fokussiere mich auf einen Aspekt, ein Geräusch: Das Rauschen von Grün.

Terra Nil, bzw. sein Prototyp ist ein Aufbau-Strategiespiel und beginnt dort, wo der feuchte Traum vom ewigen Wachstum enden wird: Im Wasteland. In diesem Spiel mit liebevoll-pixeliger Iso-Optik geht es um die Wiederbelebung eines vergifteten und unfruchtbaren Stückchen Erde. Mit einigen Klicks setze ich Windkraftwerke in die Karge Landschaft, denn zunächst einmal brauche ich Energie. Was folgt sind dann aber keine Straßen oder Gewerbegebiete, sondern Flussbetten und Boden-Entgifter. Während ich Treibhäuser platziere, Wasser fördere und Parzelle für Parzelle zu fruchtbaren Wiesen verwandle, belohnt mich das Spiel bei jedem erfolgreichen Zug mit seiner Währung: Sattes Blattgrün. Es rauscht hörbar in mein virtuelles Portemonnaie und verschafft mir mehr Handlungsspielraum für immer effektivere Maßnahmen, denn es ist die Ressourcengrundlage für weitere Anlagen.

Soweit fühlt sich das seltsam vertraut an. Ich erinnere mich an Transport Tycoon und Sim City 2000, die ich als Kind nächtelang spielte. Auch hier geht es um das Verändern eines abgesteckten Areals im Sinne des Spielziels. Die Maßnahmen dafür bestehen aus Abholzung, Aushöhlung, Zement, Stahl und Wachstum. Denn der Spielerfolg unterliegt einer einfachen Prämisse: Cashflow. Auch eine Art grünes Rauschen. Wer besonders effizient baut und plant, Ressourcen erkennt und ausbeutet, wird entsprechend belohnt. Alles in den Spielen verwandelt sich irgendwann zu Geld. Wer viel leistet, bekommt viel. Wer viel leisten lässt, bekommt sogar noch mehr. Über Nacht konnte sich das Vermögen meines Transport-Imperiums gerne mal verdoppeln – ganz ohne mein Zutun.

Die Start-Landschaften von Sim City oder Transport Tycoon sind überraschend naturbelassen, baumgrün und flussblau. Übrig ist davon am Ende kaum noch etwas, wenn meine Welt nur noch aus Straßen, Schienen, Kraftwerken, Häusern, Mülldeponien und Flughäfen besteht. Man kann diese Spiele zwar theoretisch ewig weiterspielen, aber wenn keine Parzelle mehr optimiert werden kann, habe ich gewonnen und das Spiel erfolgreich beendet. 

Ich habe das seinerzeit nie in Frage gestellt, denn es schien mir die Welt zu reflektieren, so wie sie eben funktioniert. Ich bin ein Stadtkind, kenne Gewerbe- und Industriegebiete und deren Notwendigkeit. Ich weiß, dass Stahl nicht auf Bäumen wächst und motorisierte Mobilität eine Grundlage meines Wohlstands ist. Welchen Preis dieser Wohlstand hat und welche normbildende Wirkung diese Spiele, verstehe ich erst heute.

Bildcredit: Tom Toro

In Phase eins spielt sich Terra Nil wie ein Re-Skin der klassischen Prinzipien. Aufbauen, Fördern, Währung einstreichen, weiter bauen. Jedes grüne Rauschen ein kleiner Dopamin-Kick. Phase zwei stellt eine neue Anforderung: Das bisher Erschaffene muss sich verändern, denn es ist zu monothematisch. Biodiversität muss her! Ich züchte Bienen, brenne Gebäude nieder um ihre Asche als Boden für ganze Wälder zu nutzen und erschaffe Sumpfgebiete. Aus dem Planspiel wird ein buntes Chaos und zum Rauschen von Grün gesellt sich Gelb und Blau und Rot und Violett. 

Natürlich ist dieses Spiel politisch. Genauso wie es Sim City oder Age of Empires oder selbst Pong sind. Es geht nun mal nicht ohne. Wenn wir Politik als verbindliche Vereinbarungen zum gemeinschaftlichen Leben verstehen, dann taugt jede Kreation, die darin entsteht, als Kommentar. Viele Kommentare lassen sich auf ein einfaches „So ist es halt“ reduzieren, da sie einen gesellschaftlichen Status Quo zum Fundament ihres Gameplays erklären. Städtebau erfordert nun mal Autobahnen (Sim City). Macht wird nunmal militant beansprucht und verteidigt (Age of Empires). Der Spielspaß liegt im Wettbewerb, in dem stets der Bessere gewinnt (Pong). 

Selbstredend, Spiele leihen sich bewusst nur Teilbereiche der realen Welt aus, schließlich ist die Wahl eines bestimmten Aspekts oft der Dreh- und Angelpunkt des Kern-Gameplays. Die Analogien erleichtern uns schließlich auch, die Prinzipien der Spiele zu verstehen ohne groß Handbücher gewälzt haben zu müssen. Doch wir müssen uns die Frage gefallen lassen, warum diese verkürzten Echtwelt-Anleihen sich so überwältigend oft aus dem Konzeptpool Wirtschaft, Profit, Militär, Destruktion, Dominanz und Macht bedienen – selbst wenn sie sich in Fantasie- oder Zukunftswelten abspielen. Ein nicht ganz unproblematischer Kreislauf: Unsere Annahmen über die Funktionsweise der Welt prägen unsere Spiele – und diese manifestieren unsere Annahmen über unsere Welt. Bis zu dem Grad, an dem wir profitorientiertes Denken so natürlich erachten wie Naturgesetze.

Vor kurzem hab ich etwas über Solarpunk gelesen. Diese Art von Zukunftsvision denkt nicht in Richtung unabwendbarer Dystopie, wie es Cyber- oder Steampunk oft tun, sondern fragt sich, was, wenn es uns gelingt, ökologische Nachhaltigkeit und zivilisatorischen Fortschritt miteinander zu vereinen? Wenn wir der kinderfressenden Kapitalismusspirale entkommen? Das Bild von grün-überwucherten aber hochmodernen Hochhäusern ist mir dabei im Kopf hängen geblieben. Leben im Einklang mit allem, was diese Welt zu bieten hat. Wenn ich dann in Terra Nil meine kleinen pixeligen Bauten inmitten dieses Grüns betrachte und die Ähnlichkeit sehe, bin ich ein bisschen zuversichtlicher, dass wir doch noch eine Chance auf Utopien haben. Spiele können mehr als nur beschreiben, was ist, sie sind in der Lage, Normen und Werte zu formulieren. Ein Träumer, wer hier drin die Rettung der Welt erahnt. Doch diese Blase, so überschaubar sie selbst und ihre definitorische Wirkung ist, braucht mehr mutige Fantasien, nicht mehr desselben.

Bildcredit: Vincent Callebaut

Noch immer erfreue ich mich am Grüner-Werden meines Terrains und am dazugehörigen Rauschen. Jetzt weniger das meiner grünen Währung als vielmehr das vom Wind in den Wipfeln der hoch aufragenden Bäume. Der letzte Teil der Geschichte aber verläuft anders als ich gedacht hätte: In Phase 3 verlangt das Spiel von mir, meine sieben Sachen zu Packen und dem revitalisierten Fleckchen Erde sich selbst zu überlassen. Mittlerweile sehe ich nicht nur Flora, sondern auch Tiere haben sich wieder angesiedelt und schöpfen aus dem, was die Natur bereitstellt. Meine hyper-industriellen Bauten aus den vorigen Phasen stehen allerdings noch herum. Der Ökokreislauf jedoch funktioniert mittlerweile autark, was sollen sie noch hier außer spuken? Ich baue also Recycler und Transportwege, erst mit Seilbahnen und Schiffen, dann mit Drohnen, bis auch der letzte Rest Metallschrott zu einem Raketensilo transportiert wurde (ja, selbst meine Transportwege werden rückgebaut). Mit all dem Schrott startet meine Entsorgungsrakete gen All. Selbst das zurückgelassene Silo wird ein paar Sekunden später geflutet und in einen See umfunktioniert. So gut wie nichts mehr erinnert an meine vorherige Präsenz, ich habe hinter mir aufgeräumt. In meinem Fußabdruck nichts als Leben.

Eine Zeit lang noch betrachte ich mein geglücktes Terraforming. Das Rauschen meines grünen Geldes ist mir egal geworden, ich bin glücklich, alles summen, plätschern, fliegen und leben zu hören und zu sehen. Es sind nur Pixel auf meinem Plastikbildschirm aber sie verkörpern einen Traum. Diesen romantisch-öden, abgegriffenen Traum von einer besseren Welt.


Der Prototyp von Terra Nil –  „A reverse city builder about ecosystem reconstruction“ – wurde vom südafrikanischen Free Lives in einem itch.io Game Jam kreiert und ist seit 2019 für Mac und PC verfügbar. Das dreiköpfige Team, das seinerzeit mit Broforce bereits Erfolge feierte, überarbeitet das Spiel seit Ende 2020 zu einem vollwertigen kommerziellen Spiel für Steam, herausgegeben von Devolver Digital. Ein Veröffentlichungsdatum gibt es noch nicht, aber eine Demo ist bereits verfügbar.

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