Überleben

Meine Begeisterungsfähigkeit für Videospiele hat in den letzten 30 Jahren abgenommen. Ein natürlicher Prozess, denn mit Mitte 30 haben nun andere Dinge einen höheren Stellenwert in meinem Leben. Ich spiele nach wie vor sehr gerne, aber längst nicht mehr so viel – sowohl mit Blick auf die rein zeitliche Komponente, als auch mit Blick auf den Stapel an Spielen, die es nicht mal mehr ins Laufwerk geschafft haben. Zusätzlich stelle ich fest, dass ich den Spielen gegenüber kritischer geworden bin. Auch das ist kein ungewöhnlicher Prozess, sorgen doch die gesammelten Videospielerfahrungen fast zwangsläufig dafür, dass sich aktuelle Titel immer mal wieder mit den nostalgisch verklärten „Meilensteinen“ früherer Tage messen müssen. Wenn man viele Jahre lang Videospiele konsumiert hat, fällt die persönliche Bewertung aktueller Videospiele dann oftmals kritischer aus – man verfügt eben unweigerlich über ein entsprechendes Hintergrundwissen: Sich wiederholende Gameplay-Elemente, deckungsgleiche Spielmodi und wiederkehrende Storytelling-Muster fallen verstärkt auf, einfach weil bereits diverse Blaupausen und Schablonen im Kopf abgespeichert wurden.

Manchmal kann das sogar in lästigen Zynismus umschlagen, beispielsweise wenn ich auf banales „Finde A und bringe es B“-Missionsdesign stoße und mich anschließend lauststark darüber aufrege, dass ich diesen ganzen Drecksweg jetzt tatsächlich noch einmal zurücklaufen muss. Dass man sich in dieser nostalgisch-verklärten „Früher war alles besser“-Gesinnung oder der überheblichen „Das gab es alles schon unzählige Male“-Haltung nicht einnisten darf, habe ich vor nicht allzu langer Zeit – ausgerechnet beim Spielen eines eher generischen Triple A-Titels – erfahren dürfen. Die Rede ist von Ubisofts The Division, dessen vollständige Genrebeschreibung als mustergültiger Beleg für die (gefühlte) Copycat-Mentalität bei aktuellen Videospielen dienen könnte. Immerhin handelt es sich bei The Division doch letztlich um einen Third-Person-RPG-Campaign-Loot-Multiplayer-Coop-Shooter mit PvE- und PvP-Elementen. Puh. Ausgerechnet dieser Titel bot einen Spielmodus, der meine bisherigen Favoriten problemlos in den Schatten stellen konnte: den Überlebensmodus. Das Hauptspiel war ebenfalls durchaus solide, der DLC „Überleben“ in seiner Intensität aber so mächtig und fesselnd, dass meine Mitspieler und ich die Urlaubstage aufeinander abstimmten und anderweitige Wochenendverabredungen spontan „ausfallen“ mussten.

Die Eckpfeiler des Survival-Modes lassen sich schnell skizzieren: Ohne Ausrüstung landet ihr im virenverseuchten und von einem Schneesturm heimgesuchten New York. Euer Charakter ist bereits vom Virus befallen und hat eine Restlebensdauer von lediglich einer Stunde. Wer Glück beim Looten hat, kann diesen „Todestimer“ durch Medikamente kurzzeitig anhalten und die Spiel-Session dadurch um eine weitere Stunde verlängern. Es geht also im wahrsten Sinne des Wortes ums nackte Überleben. Um den eisigen Temperaturen zu trotzen, begebt ihr euch auf die Suche nach Kleidung, während ihr parallel Rüstungen, Waffen, Waffenmods und Baumaterialien lootet. Immer unter Zeitdruck. Und unter ständiger Angst, denn neben den zahlreichen KI-Gegnern wandern 23 weitere menschliche Spieler über die Map – jeder mit demselben Ziel: Den rettenden Helikopterabholplatz rechtzeitig und mit einem wirksamen Gegenmittel zu erreichen. Falls ihr von einem KI-Gegner oder einem anderen Spieler getötet werdet, ist eure Spiel-Session übrigens umgehend vorbei. Besonders ärgerlich, wenn dies kurz vor der Rettung durch den Helikopter geschieht und sich die Mühen der vorangegangenen zwei Stunden plötzlich doch nicht auszahlen. Aber die Angst, der Druck und die Anspannung haben solch ein intensives Gefühl heraufbeschworen, dass man auch nach einem Fehlversuch direkt noch einmal in diese New Yorker Wintervirus-Hölle eintauchen wollte!

Eine Gameplay-Revolution war der Überlebensmodus trotz allem nicht, aber die Entwickler haben die soliden Elemente des Hauptspiels, welches selbst durch unterschiedliche Videospiele „inspiriert“ wurde, einfach neu gedacht und anschließend so geschickt zusammengebastelt, dass sie damit eine höchst intensive Spielerfahrung schaffen konnten. Eine Spielerfahrung, die ich in dieser Form in meinen 30 Videospieljahren nie zuvor erlebt hatte – obwohl mir die grundlegenden und zentralen Gameplay-Elemente und -aspekte durchaus alle bekannt waren. Glücklicherweise habe ich mich dazu breitschlagen lassen, diesen Spielmodus auszuprobieren… – ursprünglich hatte ich den „Survival-DLC“ nämlich (durchaus zynisch) als „uninspirierten Division-Lebensverlängerungs-Pseudo-DLC“ bezeichnet, der mir gehörig am Arsch vorbeigeht. Upsi.


Der Survival-DLC für The Division erfreute sich großer Beliebtheit und wird bis heute in unzähligen Gaming-Foren überschwänglich gefeiert. Während Ubisoft normalerweise nicht mit Fortsetzungen geizt, entschied man sich während der Entwicklung von The Division 2 gegen einen einen erneuten Survival-Mode. Aus dem Schneesturm des ersten Teils wurde daraufhin ein Shitstorm von traurigen Fans. Ach, Ubisoft…

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