Lass mich spielen

Ungeduld sei das Vorrecht der Jugend, sagt man. Seltsam, dass meine Geduld mit zunehmendem Alter eher ab- als zunimmt. Ich habe kein Lust, zu warten. Nicht auf zu späte Verabredungen, nicht auf Rückrufe oder das Ende der Hochrechnungen. In Sachen Games macht sich das besonders bemerkbar bei den obligatorischen Einstiegsleveln, den Tutorial-getränkten Prompts und Stopps und Simon-Says-Abschnitten.

Kürzlich machten mich zwei Games, die ich Schulter an Schulter spielte, auf die Dünnheit meines Geduldsfadens aufmerksam. No More Heroes 3 braucht eigentlich keine Einführung mehr, Suda51 und seine wirr-genialen Spielexperimente sind die Tarantinos in jeder Spielesammlung. Der neueste Teil mit Protagonist Travis Touchdown erklärt zu Beginn der ersten Abschnitte jeweils die Steuerung. Drei verdammte Male. Einmal als In-Action-Einblendung (gut), dann als Vorab-Dialogbox (okay) und noch einmal als Popup mitten in der Action (aua). Als so aufdringlich habe ich nicht einmal Navi oder Phai aus diversen Zelda-Teilen empfunden. Gerade bei diesem Vergleich drängt sich mir der Verdacht auf, dass Suda51 das mit Absicht macht und ich nur ein Kultbanause bin.

Spiritfarer hat mehr zu erzählen als No More Heroes 3, spielt sich gemächlicher und nimmt sich mehr Zeit für das Tutorial. Nichts davon aber bringt mich aus der Ruhe. Hauptverantwortlich dafür ist die Tatsache, dass ich viel kann aber kaum etwas muss. Erläuterungen kommen in Häppchen, Aktionen sind auch ohne Erklärbär verfügbar und der kritische Pfad, der mir helfen soll, das Gesamtkonzept zu begreifen, wird Stück für Stück in die Geschichte eingewoben. Okay, manche Aktionen sind obligatorische Gates, ohne sie durchzuführen komme ich nicht weiter; aber ehrlich, wenn das erste bedeutungsvolle Verb des Spiels „umarmen“ heißt, wer kann sich da schon gegängelt fühlen? No More Heroes 3 hängt ein großes fettes Ausrufezeichen an seine Gebrauchsanweisung, Spiritfarer verdient sich den begehrten das-Tutorial-das-du-nicht-bemerkst-Pokal. 

Als Kind habe ich Anleitungen selbstbewusst und nicht ohne Stolz unangetastet gelassen, war das Spiel auch noch so komplex. Die Regeln des Spiels und seine Bedienung werde ich mir wohl doch noch selbst erschließen können. Kein Wunder, dass ich heute Spiele wie Dark Souls und Breath of the Wild, berühmt-berüchtigt für ihr Nicht-Händchenhalten, ganz besonders schmuck finde. 

Dabei wäre es illusorisch zu glauben, diese Spiele hätten keine Tutorials. Sie werden nur zum großen Teil von einer Art Sekundärliteratur übernommen, und ganz besonders von der Community. VaatiVidya und das xte „20 Mechaniken aus BotW, die Du noch nicht kanntest“-Video sind nur die Spitze des Eisbergs.

Heute habe ich einen anderen Blick auf Tutorials und schätze sogar kleine Bedienungs-Heftchen zu diversen Gadgets, wenn sie nur gut gemacht sind und mich da abholen, wo ich stehe. Das Entscheidende eines Tutorials – oder dem analogen Äquivalent einer Anleitung – ist, ob es sich als Spielbaustein versteht, als Teil der Erfahrung oder eben losgelöst davon irgendwo ein paralleles Dasein fristet. Dort nämlich nervt es, reißt heraus, stört die Immersion. Als erweitertes Gameplay allerdings strahlt es manchmal einen solchen Reiz aus, dass man noch extra Zeit und manchmal sogar Geld in die Hand nimmt, um den eigenen Erlebnishorizont zu erweitern. Die dicken Bücher in meinem Regal über Zeldas Timeline und Bloodbornes Waffenattribute sind meine stillen Zeugen.


No More Heroes 3 von Grasshopper Manufacture erschien in diesem Jahr für die Nintendo Switch und ist eines der wildesten, absurdesten und technisch fragwürdigsten Veröffentlichungen der letzten Monate. Spaß macht es alle male und natürlich ist es nicht wirklich mit Spiritfarer vergleichbar, das eine liebevolle Geschichte von Selbstfinden und Friedenschließen auf dem Weg ins Jenseits erzählt und 2020 von Thunder Lotus Games auf verschiedenen Plattformen veröffentlicht wurde.

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