Nach über einem Jahr besonderer Augenblicke und Erinnerungen an Games ist es Zeit, endlich echte Fakten auf Wall Jump zu schaffen. Und wenn man schon Fakten schafft, dann muss man auch ganz oben ins Regal greifen, da, wo die angestaubten Trophäen, Plaketten und Medaillen stehen, sich genau jene ein ganz klein wenig glänzendere Medaille schnappen, einmal kurz mit dem Ärmel drüberwischen, damit die Schrift wieder lesbar ist, und dann muss man Klebeband und Edding holen, ein Stück Band über „Ocarina of Time“ kleben, aber nicht über „Bestes Spiel aller Zeiten“, denn das beste Spiel aller Zeiten existiert ja fortan und unendlich, es ist eben nur nicht mehr Ocarina of Time. Wer es ist, dass bestimmt der filzige Edding, mit dem man auf das Klebeband den würdigen Nachfolger zu schreiben hat: Cruis’n Blast!
Cruis’n Blast?
Aber natürlich.
Um die unbestreitbare Tatsache zu untermauern, dass Cruis’n Blast das beste Spiel aller Zeiten ist, und eben nicht mehr Ocarina of Time und schon gar nicht Dark Souls oder gar etwa Halo, muss man vielleicht erklären, wie sich die Kategorie „Bestes Spiel aller Zeiten“ überhaupt definiert. Und dazu dient, wie in vielen Fällen schwer lösbarer Probleme, eine kurze Zeitreise.
Damals, es ist ein bisschen länger her, als man vermutet, wenn man mich trifft, dann aber doch wieder nicht so lange her, dass die Geschichten von früher kaum noch nachvollziehbar sind, also in den 90ern, war meine Auseinandersetzung mit Videospielen doch eine etwas andere als das, wovon die Texte auf Wall Jump nun handeln. Auch, wenn wir hier oft in die Analen des Gamings zurück blicken, und das in ja durchaus persönlichen Anekdoten, es ist ein Blick, den man erst mit Abstand gewinnen kann. Die Kontextualisierung vieler Spielebegegnungen ergibt sich erst aus all den anderen Spielen, die über die Jahre dazu kamen, und so werden Entscheidungen mal rational-fundiert, mal romantisch-verklärt getroffen – vor allem aber mit dem elitären Blick des erwachsenen Gamers, der alles kennt und alles kann und Spiele sowieso nur im Gesamtgefüge unterschiedlicher Kulturgüter bewertet wissen will.
Auch ich bin diesem Trugschluss lange aufgesessen, habe von Immersion und Medienkonvergenz gesprochen. Aber natürlich ist das alles Quatsch.
Früher, als alles besser war, also auch die besten Spiele, war das beste Spiel aller Zeiten häufig ein Spiel, das man gar nicht hatte. Bei mir war Blast Corps so ein Fall. Ein Klassenkamerad hielt mir eines Tages das Modul unter die Nase und schwärmte. Richtig coole Autos! Man kann alles wegrammen! Richtig fette Explosionen! Und angeblich, er hatte das irgendwo gehört, spielt man sogar irgendwann auf dem Mond! Es war klar: Das muss das beste Spiel aller Zeiten sein. Nach ähnlicher Prämisse ist ein ganzer Onlinekult bis heute auch fest überzeugt, dass Mother 3, ein einst für das unselige 64DD angekündigtes Rollenspiel, mit Sicherheit das beste Spiel aller Zeiten geworden wäre. Wäre es denn erschienen, denn das ist es nicht. Trotzdem, super Spiel! Selbst Kaufentscheidungen konnte man so leicht treffen und noch leichter rechtfertigen: Denn ist das kostbare Ersparte erstmal für „Psi-Ops: The Mindgate Conspiracy“ ausgegeben, ist natürlich klar, dass das einfach das beste Spiel aller Zeiten sein muss. Wozu hätte man es sich sonst gekauft? Immerhin bekämpft man als Soldat mit Gedächtnisverlust ein teuflisches Regime, WÄHREND man auch noch seine vergessenen telekinetischen Fähigkeiten wieder entdeckt! Und man heißt Nick Scyer! Wieviel besser kann es noch werden?
Zwei ehemalige beste Spiele aller Zeiten
Irgendwann mit zunehmenderem Älterwerden wollte ich natürlich nicht mehr jedes Spiel zum besten Spiel aller Zeiten deklarieren. Denn je älter, umso mehr ironisch gebrochene Distanz ist angebracht, um bei seiner Peer Group möglichst unnahbar zu wirken und das dann in den eigenen vier Wänden standesgemäß mit depressiver Musik und verzweifelter Teenager-Lyrik zelebrieren zu können. Der neueste, im Freundeskreis angeschleppte Super-Blockbuster für die PlayStation? Wenn das Erfolg hat, kann es ja nur Massenware sein. Um nun noch bestes Spiel aller Zeiten zu werden, sind vermeintliche Tiefe, also heutzutage wohl irgendwas mit Füchsen, die Einlagerung in einer Schweizer Käsebank und der kommerziellen Bankrott des Entwicklers unumgängliche Kriterien. Drunter geht es nicht.
Ich selbst bin über dieses durchschaubare Verhalten natürlich erhaben. Daher habe ich mich selbst vor einem guten Jahr schon gegen diese Blasphemie gewehrt und wollte Crayola Scoot zum besten Spiel aller Zeiten erklären. Ich hatte es zwar weder gekauft noch gespielt, aus unerfindlichen Gründen sorgt der Name Crayola Scoot bei mir aber für dermaßen gute Laune, dass kaum ein anderes Spiel diesen intrinsischen Spaßfaktor toppen kann.
Das nun aber wirklich beste Spiel aller Zeiten setzt einen drauf. Cruis‘n Blast hat einen ähnlich sinnlosen Namen, denn das willkürlich ans Ende gesetzte „Blast“ verspricht sofort Spaß. Let’s have a blast! Im Unterschied zu Crayola Scoot wird es aber einfach nur immer besser, sobald man das Spiel beginnt. An einer Stelle, an der Worte einfach nicht mehr reichen, sollte der geneigte Leser nun die nächsten 30 Minuten mit diesem Loop des Titeltracks des Spiels verbringen:
Willkommen zurück und herzlichen Glückwunsch zum besten Ohrwurm, den so nur das beste Spiel aller Zeiten bescheren kann!
Der größte Spaß aller Zeiten nimmt hier natürlich kein Ende: Hat man (CRUIIIIISN!) sich von der kleinen (CRUIIIIIISN!!!) Menüprivatparty verabschiedet (OH YEAH!), steht wie in jedem (COME ON LET’S CRUIIIIIIIIIISN!!!!) ordentlichen Racer die Fahrzeugauswahl an (COME ON COME ON!!!). Es gibt Autos. Coole Autos. Weil coole Autos aber nicht cool genug sind, kann man sie upgraden. Und zwar nicht mit langweiligen aber spielrelevanten Upgrades, die das Auto schneller oder besser manövrierbar machen, sondern mit Neonlichtern! Und seltsamen Hot Wheels-artigen Motorkonstruktionen! Und noch mehr Neonlichtern! Natürlich kann man auch neue Fahrzeuge freispielen. Wobei das Spiel das Wort „Fahrzeug“ konsequent weit gefasst wird. Denn statt einfach noch mehr tumber Karren rast es sich schließlich mit einem Helikopter, einem UFO, einem Haifisch oder einem Einhorn genauso gut. Und, ja, ich darf bestätigen: Auch der Haifisch kann mit Neonlichtern noch weiter optimiert werden!
Bevor man dann endlich CRUIIIIIIISN!!!!! gehen darf, steht die Auswahl des Rennwettbewerbs an. Auch hier macht Cruis’n Blast einfach alles richtig: Statt langweiligen Turnieren darf ich etwa zwischen der Chopper-Tour oder Dino-Tour wählen! Das klingt nicht nur total super, das ist es auch. Denn während ich über die Rennstrecke rase, die, natürlich, in gleißendem Neonlicht präsentiert werden, verfolgt mich ein Tyrannosaurus, bricht der Boden unter einem Erdbeben weg und zerstört ein Riesen-Donut eine halbe Stadt. Und all das im Sekundentakt. Man könnte anmerken, dass sich Cruis’n Blast auch ganz gut steuert und eine stabile Framerate hat, aber eigentlich ist das völlig egal. Wer hat denn je bei seinen Freunden mit einer stabilen Framerate angegeben? Erst mit explodierenden Tanklastern, kämpfenden Yetis und attackierenden UFOs bleibt der wöchentlichen Skatrunde wirklich die Spucke weg!
Übrigens erzähle ich gerne, etwa hier, dass man in Cruis’n Blast, wenn man erstmal alle Pokale gewonnen hat, auf dem Mond fahren kann. In gleißendem Neonlicht. Ob das wirklich stimmt, weiß ich nicht. Ich kann es mir aber gut vorstellen. Denn schließlich ist es das beste Spiel aller Zeiten.
Eigentlich betrachten wir in der Kategorie „Augenblicke“ einzelne, besondere Momente von Spielen. Cruis’n Blast ist aber ein derartig furioses Inferno, dass das Gesamterlebnis zu einem besonderen Moment wird. Das ist auch logisch, denn es ist schließlich das beste Spiel aller Zeiten.
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