Grant Kirkhope

Part 1

Die Musik in Videospielen ist mehr als nur eine nette Dreingabe zur Grafik und zum Gameplay. Sie schafft Atmosphäre, sie lässt Spielerinnen und Spieler tiefer in die virtuellen Welten eintauchen und besondere Stücke nisten sich für immer in unseren Köpfen ein. Grant Kirkhope ist einer dieser Komponisten, der ganz besondere Videospiel-Musik geschaffen hat. Musik, die Spielerinnen und Spielern die virtuellen Erlebnisse und Geschichten auch Jahre später wieder erinnern lässt. Im ersten Teil unseres ausführlichen Interviews mit Grant Kirkhope sprechen wir über seinen Werdegang als Komponist, seine Zeit bei Rare und über die Chancen für junge Musiker in der heutigen Videospielbranche.


Wall Jump: Du hast ein Musikstudium mit Schwerpunkt auf klassische Trompete abgeschlossen, in Rockbands gespielt und Soundtracks in verschiedenen Stilrichtungen, beispielsweise orchestrale und elektronische Stücke, für zahlreiche Videospiele unterschiedlicher Genres komponiert. Hast du diese große musikalische Bandbreite während deines Studiums erworben?

Grant Kirkhope: Nein, ich war während meines Studiums äußerst schlecht in Harmonielehre – ich konnte es einfach nicht. Kein Wunder also, dass ich mehrmals durch die Harmonielehre-Prüfung gefallen bin. Allerdings war das eine Pflichtprüfung, die ich innerhalb meines Studiums unbedingt bestehen musste, aber in den vier Jahren meines Studiums bin ich dreimal durchgefallen und erst im letzten Anlauf habe ich sie dann ganz knapp bestanden. Schon während meiner Schulzeit war ich schlecht darin und habe nie davon geträumt, einmal Komponist zu werden – und es ist mir auch nie in den Sinn gekommen.

Wall Jump: Aber letztlich scheint sich diese Idee dann doch irgendwie in deinen Kopf geschlichen zu haben…

Grant Kirkhope: …nur wegen meines Freundes Robin Beanland, der übrigens auch heute noch bei Rare arbeitet. Er war Keyboarder in einer der Bands, für die ich in meiner Heimatregion North Yorkshire spielte, und eines Tages sagte er: „Ich habe einen Job bei einer Firma names Rare gefunden.“ Das war aufregend! Niemand, den ich kannte, hatte einen Job – alle spielten nur in Bands und waren arbeitslos. Ich selbst habe im Alter von 22 bis 33 Jahren lediglich in verschiedenen Bands gespielt und damit meinen Lebensunterhalt verdient. Anderthalb Jahre nachdem Robin seinen Job bei Rare angefangen hatte – ich schlug mich immer noch als Musiker durch – sagte er zu mir: „Du bist jetzt seit elf Jahren arbeitslos. Denkst du nicht, dass du dir langsam einen Job suchen solltest?“ Auf meine Gegenfrage, was ich mit meinen überschaubaren Fähigkeiten denn anstellen könne, schlug Robin mir vor, dass ich doch ebenfalls versuchen sollte als Komponist zu arbeiten. Ich hielt das zwar für extrem unrealistisch, aber Robin empfahl mir Equipment wie Cubase (ein MIDI-Sequenzer), einige Synthesizer und einen Atari ST. Zu dieser Zeit habe ich eine Menge Videospiele gespielt und beschloss daher, mich ebenfalls auf Videospielmusik zu fokussieren. Ein Jahr lang saß ich zu Hause und habe versucht es mir beizubringen – und innerhalb dieses Jahres habe ich insgesamt fünf Demo-Kassetten an Rare geschickt. Es gab nie eine Antwort,… aber nach der fünften Demo-Kassette bekam ich dann plötzlich doch noch eine Rückmeldung und wurde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. David Wise führte das Gespräch und ich bekam tatsächlich einen Job! Ich konnte es kaum fassen, weil ich nie daran gedacht hätte, dass ich tatsächlich einmal als Komponist arbeiten würde.

Grant Kirkhope im Skype-Interview mit Joshua Hampf

Wall Jump: Es lief also viel mehr nach dem Prinzip „Learning-by-doing“…

Grant Kirkhope: …absolut, ja! Ich hatte zwar eine Vorstellung davon, wie es klingen muss, und ich hatte Cubase und einen Synthesizer, mit deren Hilfe ich einige Demos aufnahm, aber ja,… letztlich lief es nach dem Prinzip „Trial and Error“.

Wall Jump: Gab es klassische oder zeitgenössische Komponisten, die dir damals als Vorbild dienten?

Grant Kirkhope: Ich war ein großer Fan von Danny Elfman und John Williams, aber hauptsächlich habe ich damals Rockmusik wie Judas Priest gehört und Videospiele gespielt. Ich wollte Musik schreiben, die meiner Ansicht nach zu Videospielen passen könnte. Also hörte ich Plattform-Themes aus Super Mario und schrieb anschließend Stücke, die ein bisschen nach Mario-Plattform-Themes klangen. Ich hörte einige Tracks aus Batman und schrieb anschließend einige Tracks, die sich nach Batman anhörten. Ich hörte mir die Musik aus Killer Instinct an und versuchte ähnliche Musik zu komponieren. Letztlich habe ich wirklich viel herumprobiert und dabei ein- bis zweiminütige Demos geschrieben, von denen ich annahm, dass sie wie Videospielmusik klingen würden – und das war es, was im Endeffekt zum Vorstellungsgespräch bei Rare geführt hat.

Wall Jump: Der Job als Videospielkomponist war bei dir also keine bewusste Entscheidung, sondern eher die letzte Chance überhaupt einen Job zu bekommen – aber welchen Rat würdest du jungen Musikern geben, die jetzt aktuell versuchen in der Branche Fuß zu fassen? Heutzutage wird man wohl wenig Erfolg haben, wenn man den Publishern einfach Demo-Kassetten zuschickt.

Grant Kirkhope: Damals hatten viele Unternehmen noch hausinterne Komponisten, das hat sich heutzutage tatsächlich geändert. Die meisten Videospielfirmen haben heute zwar hausinterne Sounddesigner, aber sie haben keine Komponisten mehr unter Vertrag, wie es damals viel häufiger der Fall war. Bei großen Firmen wie Blizzard und Rare gibt es das heute noch, aber das ist eher die Ausnahme. Es reicht also nicht mehr aus, nur ein guter Komponist zu sein. Musik zu schreiben und sie irgendwo auf YouTube oder auf die eigene Website zu stellen, nützt nichts… niemand wird sie hören. Du brauchst ein Netzwerk und musst die richtigen Leute kennen, daher muss man rausgehen und diese Leute treffen – das ist unerlässlich. Man muss auf Game Jams und Messen gehen – man muss Leute treffen, die Spiele machen, denn sie werden sich nicht irgendwann einfach so an deiner Tür klopfen. Diese Leute zu finden, ist die einzige Möglichkeit! Ein Talent zu besitzen, ist nur die halbe Miete, die zweite Hälfte bildet das richtige Netzwerk.

Man muss Leute treffen, die Spiele machen […] denn ein Talent zu besitzen, ist nur die halbe Miete, die zweite Hälfte bildet das richtige Netzwerk.

Grant Kirkhope

Wall Jump: Fällt dir ein aktuelles Beispiel von einem Videospielkomponisten ein, der ebenfalls einen eher unkonventionellen, aber dennoch erfolgreichen Weg vorzuweisen hat?

Grant Kirkhope: Dazu fällt mir das Beispiel von Danny Baranowsky ein, der übrigens auch ein guter Freund von mir ist. Er hat die Musik zu Super Meat Boy, Binding of Isaac und Crypt of the Necrodancer geschrieben. Sein großer Durchbruch kam mit dem Remix eines Perfect Dark-Themes, das seinen Weg auf OC ReMix, eine Videospielmusik-Community mit zahlreichen Remixes von Fans, gefunden hat. Der Entwickler eines Spiels namens Canabalt hörte Dannys Musik und fragte ihn, ob er nicht den Soundtrack für sein Spiel schreiben wolle. Also schrieb Danny die Musik für Canabalt, die wiederum von den Super Meat Boy-Jungs gehört wurde,… und das brachte ihm den Job bei Super Meat Boy ein. So läuft das manchmal! Aber man muss irgendeinen Weg „hinein“ finden, und der Weg von jedem verläuft ein bisschen anders. Aber einfach nur zu Hause sitzen, fantastische Musik zu komponieren und sie auf YouTube zu stellen, bringt dich nicht weiter. Vielleicht hast du Glück, aber in den meisten Fällen wird es so nicht klappen. Du musst einfach die richtigen Leute kennenlernen und dazu musst du rausgehen, um diese Leute zu treffen. Ich glaube, dass viele Komponisten eher introvertierte Typen sind und es vielen schwerfällt, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen – aber man muss diese Scheu überwinden, sonst wirst du keinen Erfolg haben können.

Wall Jump: Ich würde gerne auf einige deiner Werke zu sprechen kommen. Du hast gerade schon Perfect Dark erwähnt und ich persönlich liebe den Perfect Dark-Soundtrack aufgrund seiner Vielseitigkeit. Besonders jene Tracks mit langsamem Spannungsaufbau und zunehmend dramatischen Momenten, die aber aufgrund ihrer sich wiederholenden Muster absolut kohärent sind. Ohne jetzt all deine kompositorischen Geheimnisse lüften zu wollen, aber wie gelingt dir ein solcher Soundtrack? Hörst du bereits beim ersten Sehen / Spielen bestimmte Klänge in deinem Kopf?

Grant Kirkhope: Ein bisschen schon, ja. Aber häufig habe ich gar keine Szenen oder Level gesehen, sondern lediglich eine kleine Beschreibung bekommen à la: „Area 51“ oder „Du bist in den Straßen von Chicago, es ist eine trostlose und regnerische Nacht“ – wenn du dann deine Augen schließt, kannst du dir vorstellen, wie es sich anhören könnte. Würde es sich beispielweise um eine Szene in einem sommerlichen Wald handeln, würde ich sofort an Holzblasinstrumente, Fagotte und Flöten denken. In Bezug auf Perfect Dark: Es ist ein Sci-Fi-Spiel, also denke ich an elektronische Klänge, an Synthesizer, aber auch an orchestrale Streichinstrumente – und ich denke an Akte X…

Wall Jump: …kann man diesen Prozess erlernen? Wenn ich einen Film sehe, bei dem die Musik perfekt passt, dann bemerke ich das. Aber wenn der gleiche Film ohne Musik laufen würde, wäre ich niemals in der Lage einen passenden Soundtrack zu erstellen…

Grant Kirkhope: …probiere es einfach aus und mach das, was du für richtig hältst! Schnapp dir ein Keyboard und experimentiere mit verschiedenen Melodien. So gehe ich die Sache an. Ich bin kein intellektueller Komponist, ich setze mich hin und lade ein paar Samples, beispielsweise eine Klarinette, ein Waldhorn oder eine Flöte, und spiele damit rum, bis ich etwas höre, was mir gefällt. Meine Interpretation der Filmmusik wäre sicher anders als deine, denn du hättest sicher andere Ideen, aber dennoch hast du eine Vorstellung davon, wie es klingen könnte. Und damit musst du arbeiten und herumprobieren – du musst deine Idee, ganz bildlich gesprochen, in die Hand nehmen. Vergleichbar mit einem Knet- oder Tonmodell, denn auch das musst du in die Hände bekommen und bearbeiten, um es in eine Form zu bringen. So ist es letztlich auch mit der Musik: Arbeite mit ihr, bis du etwas hörst, was dir gefällt und baue anschließend darauf auf. Es gibt keine Formel wie: „Schritt 1, Schritt 2, Schritt 3“, man beginnt einfach mit der Musik zu arbeiten. Und genauso gehe ich vor. Es ist also keine Magie, sondern Arbeit.

Wall Jump: Ich habe Perfect Dark mit 14 Jahren (zu jung) in die Hände bekommen und zwang meinen elfjährigen Bruder (viel zu jung) die Koop-Kampagne mit mir zu spielen. Bis heute bildet der Perfect Dark-Soundtrack unseren persönlichen „Videospielmusik-Maßstab“. Wusstest du damals sofort, dass du einen besonderen Soundtrack geschaffen hattest?

Grant Kirkhope: Nein, das weiß man nie. Ich gebe immer mein Bestes, auch wenn ich am Ende immer nur zu 80 Prozent zufrieden bin – hundertprozentige Zufriedenheit erreiche ich tatsächlich nie. Aber bis die Leute anfangen zu spielen und den Soundtrack zu hören, kann man nicht wissen, ob er heraussticht. Man weiß nicht, ob tausende Menschen auch 20 Jahre später noch über den Soundtrack sprechen – ich hätte bei Banjo-Kazooie nie daran gedacht, dass irgendjemand auch nur 20 Tage später noch darüber sprechen würde! Kurz gesagt: Du kannst es im Vorfeld nicht wissen. Daher gibst du einfach dein Bestes und drückst die Daumen.

Wall Jump: Ist es für dich ermüdend, dass man 20 Jahre später noch über deine „alten Hits“ spricht? Man hört das immer mal wieder von Musikern, die sehr genervt sind, wenn das Publikum sich nicht für ihre neuen Sachen interessiert, und stattdessen nur die alten Hits abfeiert.

Grant Kirkhope: Nein, ganz und gar nicht! Ich bin sehr dankbar, dass überhaupt jemandem etwas von meinen Sachen gefällt. Selbst wenn man als Komponist nur für einen seiner Tracks in der Welt bekannt ist, ist das doch schon unglaublich! Und selbst wenn nur einer Person etwas von meinen Sachen gefallen würden, fände ich das großartig! Ich sehe mich selbst als soliden, aber nicht als außergewöhnlichen Komponisten. Ich hasse Egozentrismus und habe stattdessen eher das Gefühl, dass ich einfach nur ein Typ bin, der Musik schreibt, so wie andere Leute Swimmingpools reinigen, Gärtner oder Mechaniker sind. Es ist einfach nur mein Job, weshalb ich mich nie daran gewöhnen werde, dass meine Musik von so vielen Leuten gemocht wird. Ich fühle mich sehr geehrt und bin dankbar darüber, aber ich werde mich nie daran gewöhnen.

Ich bin einfach nur ein Typ, der Musik schreibt, so wie andere Leute Swimmingpools reinigen, Gärtner oder Mechaniker sind. Es ist einfach nur mein Job.

Grant Kirkhope

Wall Jump: Deine Freude darüber spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass du über deine Social Media-Accounts regelmäßig „Fanwork“ teilst. Suchst du aktiv nach diesen Dingen oder finden sie den Weg zu dir?

Grant Kirkhope: Meistens werde ich verlinkt und teile und retweete solche Sachen dann sehr gerne. Ich freue mich, wenn ich jemandem damit helfen kann. Tatsächlich machen einige Leute ganz erstaunliche Remixe von meinen Sachen! Es ist unglaublich wie viel Arbeit sie dabei in die Tracks stecken und einige dieser Remixe sind einfach spektakulär und oft besser als mein eigenes Zeug. Ich fühle mich geehrt, dass Leute mit meiner Musik arbeiten. Alles, was ich sehe, versuche ich daher immer zu teilen, damit andere es auch hören können. Zum einen ist das hilfreich für die Künstler selbst, zum anderen ist es auch schön für die Community. Ich bin sehr dankbar, dass 87.000 Menschen glauben, dass ich es wert bin, mir zu folgen, weil… weil ich selbst nicht glaube, dass ich es wert bin, mir zu folgen. (lacht)

info
GRANT KIRKHOPE IM INTERVIEW – TEIL 2

In Teil 2 sprechen wir mit Grant Kirkhope über seine ersten Schritte als Filmkomponist, seine Arbeit an Mario + Rabbids: Kingdom Battle und seine Liebe für Zelda. Verpasst nicht den zweiten Teil unseres exklusiven Interviews mit Grant Kirkhope auf WALL JUMP!


Grant Kirkhope ist ein britischer Videospielkomponist, der vor allem für seine Arbeit bei Rare bekannt ist und dort die Musik zu Spielen wie Banjo-Kazooie, GoldenEye 007 und Perfect Dark geschrieben hat. Seine musikalische Bandbreite hat er in der jüngeren Zeit auch bei Titeln wie Mario + Rabbids Kingdom Battle, Viva Pinata und Sid Meier’s Civilization: Beyond Earth bewiesen.

Offizielle Website
Grant Kirkhope auf Spotify

This post is also available in: Englisch

Share: