Bapenada

Whyyyyyyyy? Schluchz, brabbel, seufz“. Die seltsame Figur in Grau vor mir ist empört. Ich hab die verdammte Blume schon wieder ruiniert. Ich sollte sie einmal quer über die Karte tragen. Ohne getroffen zu werden versteht sich, denn die Blume ist zu fragil dafür. Abkürzungen sind nicht erlaubt. Panzer oder Schilde gibt es nicht oder taugen nichts. Aber zumindest kann ich es so oft probieren, wie ich möchte.

Ich möchte. Noch einmal. In den Tiefen von Hallownest lauern Käfer und Würmer und Fliegen und jede Menge Kleinstgetier, wie ich ja irgendwie auch eines bin. Schon bei der Vorstellung höre ich es krabbeln und seltsam knistern. Das Spiel ist nichts für Entomophobiker. Statt eines Schwertes führe ich einen Nagel. Statt Drachen erlege ich Insekten in Rüstungen. Eine Miniaturwelt, die riesig wirkt, weil mein Blick so nah dran ist. Und dann, genau so nah, noch dieser Sound.

Ich kämpfe mich durch die dunklen Gänge der Resting Grounds, die hier unten von halb verwesten, bibbernden, stöhnenden aber leider enorm kraftvollen Käfern besiedelt werden. Zum Glück höre ich ihr Wehklagen schon von Weitem und ihre Attacken kündigen sich rechtzeitig mit Kampfgeschrei an. Zing, zing, splosh, ääääächz. Käfer erledigt, Blume intakt.

Hollow Knight ist das näheste, was Videospiele in Sachen ASMR zu bieten haben. Glaube ich. Zumindest in meinen Ohren fühlen sich die Sounds der Bugs penetrant nah an. Die grafische Präsentation von Hollow Knight ist bizarr niedlich, die Geräuschkulisse fast herzerwärmend, wenn sie nicht so eklige Dinge beschreiben würde. Splurrt, splash, squish, surrr – viele der Soundeffekte sind offensichtlich mundgemacht. Sie fügen sich wunderschön ein in das Kauderwelsch, das den NPCs für die Sprachausgabe spendiert wurde. Dieses Gebrabbel erinnert an kindliche Geheimsprachen. „Haaaaaah, Bapenada“ ist Händlerin Iseldas Begrüßung, wenn ich in ihren Karten-Shop stolpere. Willoh, die an einen Marienkäfer mit zu langem Hals erinnert, findet die Pilze aus dem Fog Canyon ziemlich lecker, Prädikat „Suppa ella. Meerrma!“. Und Nailmaster Oro leitet seine Lektion in Sachen Kampfkunst ein mit „Goa namé? Churro!“.

Nach einem langen aber sicheren Flug über den Blue Lake komme ich zu den Forgotten Crossroads, die aber nun, nach einigen Stunden Spielzeit, mit etwas klebrigem, eitrigem, bakterienartigem infiziert sind. Deswegen heißen sie jetzt auch Infected Crossroads, wie mir die Texteinblendung zu verstehen gibt. Der schleimige Parasit befällt nicht nur Gegner und bufft sie ordentlich auf, ich höre auch seinen Puls mit einem wenig beruhigenden Herzschlag, der von irgendwo her pumpt. Ich habe die Route und die Aktionen in diesem Abschnitt fest geplant und brauche volle Konzentration. Hier wurden aus Mücken kreischende fliegende Bomben gemacht, aber ich weiß, wie ich sie austrickse. Wieder und wieder. Als es wieder still wird, habe ich es fast geschafft. Ein Knacken erinnert mich rechtzeitig, dass ich in Bewegung bleiben muss, als mich ein herabfallender Stalaktit nur knapp verfehlt.

Getroffen werden – etwas, das mir natürlich bei diesem Run nicht passieren wird – ist schlimm und wird in Hollow Knight daher eindrucksvoll inszeniert. Team Cherry hat sich hier für einen besonderen Trick entschieden: Als ob der eigene Kopf kurz unter Wasser getaucht wird, werden bei einem Hit alle Geräusche, inklusive Musik auf ein Minimum abgesenkt und ein dumpfes Schlaggeräusch nimmt fast den gesamten akustischen Raum ein. Das Ganze dauert nur den Bruchteil einer Sekunde. Es reicht, um sich tief ins Bewusstsein zu bohren. Neurologisch gibt es zwischen einem Hit in Hollow Knight und einer Ohrfeige von Will Smith vermutlich kaum Unterschiede.

Weit ist es nicht mehr. Nach einem kurzen Säurebad in Green Path lasse ich mich tief in den Fog Canyon fallen. Hier unten klingt alles irgendwie dumpf, wie unter Wasser. Das passt zumindest zu den quallenartigen Geschöpfen, die hier dankbarerweise einigermaßen friedlich auf- und abschweben. Berühren sollte ich sie dennoch nicht. Angreifen erst recht nicht. Einige schießen nach ihrem Ableben ihren explosiven, zielsuchenden Kern auf mich, dem ich maximal in einem von zehn Fällen zu entkommen vermag. Schleichfahrt ist angesagt. Fast nahtlos geht das Gebiet in den Queen’s Garden über, meinem Ziel. Hier gibt es ein Grab, an dem ich die Blume niederlegen soll, als letzte Würdigung einer trauernden, entfernten (sehr entfernten!) Freundin. 

Ich bewege mich abgeklärt durch die letzten Räume, vorbei an stachelschießenden Graswesen und diskuswerfenden Heuschrecken. Ich bin schneller als ihre Projektile, kenne diese Gegend und bin zu weit gekommen als mir das jetzt nehmen zu lassen. Kurz vor dem Ziel muss es natürlich noch ein enges Dornengestrüpp sein, schließlich darf das Plattforming nicht zu kurz kommen. Dieser Run ist das Äquivalent zum „Heißen Draht“ der Familienfeste meiner Kindheit.

Ich überstehe diesen letzten Skill-Check, nicht ganz ohne Schweiß auf der Stirn, und finde mich an besagtem Grab wieder. Die zarte Blume hat die Reise makellos überstanden, ich lege sie nieder, an dem Ort, an dem laut Inschrift „Das Kind der Verräter“ ruht.

Das Grab erblüht mit ein paar weißen Blüten. Ein Geist erscheint und bedankt sich mit einer Verbeugung. Mehr nicht. Keine Fanfaren, kein Item, kein neuer Weg. Das war’s. Es ist still. Das einzige Geräusch nach kurzer ungläubiger Pause nur mein Stöhnen. Bapenada.


Hollow Knight ist das mehrfach ausgezeichnete Erstlingswerk von Team Cherry, erschien 2017 zuerst für den PC und gilt als das Dark Souls unter den Metroidvanias. Die Entwicklung wurde größtenteils per Crowdfunding finanziert. Der vormals als DLC geplante Nachfolger „Silk Song“ wurde 2019 angekündigt, lässt aber seitdem auf sich warten.

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