Aufgescheuchtes Huhn

Es ist jetzt fast 15 Jahre her, aber der Trailer zum ersten Assassin’s Creed schwirrt mir immer noch im Kopf rum: Altair steht auf einem Kirchturm, die zu ermordende Zielperson auf einem erhöhten Podest am Boden hat er dabei fest im Blick. Die Glocke schwingt von links nach rechts und füllt dabei den kompletten Bildschirm – beim Zurückschwingen wird der Blick auf den Kirchturm wieder frei – von Altair fehlt nun jede Spur. CUT. Altair hat sich mittlerweile auf dem Boden unters Volk gemischt. Scheinbar unsichtbar nähert er sich der Zielperson. Er nimmt zunehmend Tempo auf und noch bevor irgendjemand der umherstehenden Wachen reagieren kann, setzt er mit einem beherzten Sprung auf das Podest zum Todesstoß an. ZACK! Eine Verfolgsjagd zwischen Altair und den Wachen entspinnt sich. Altair flüchtet gekonnt über die Dächer doch am Ende scheint es fast so, als wäre er in einer Sackgasse gelandet: Er wird vor einer verschlossenen Kirchtür von den Wachen umstellt. Doch Altair weiß, dass sich diese Kirchentür in wenigen Sekunden öffnen wird und die Priester der Kirche ihrem täglichen Routinegang durch die Stadt nachgehen werden. Er steht einfach dort. Die Tür öffnet sich. Die Priester laufen an ihm vorbei und wie von Zauberhand verschwindet er hinter ihnen. Altair hatte jeden Schritt geplant. Die Umgebung, die Abläufe und die täglichen Rituale studiert – nur so konnte er immer wieder mit der Umgebung verschmelzen und für seine Verfolger unsichtbar werden. Der perfekte Meuchelmord findet seinen perfekten Abschluss.

Ich stehe auf dem Kirchturm, die zu ermordende Zielperson auf einem erhöhten Podest am Boden habe ich dabei fest im Blick. Es schwingt keine Glocke. Ich stehe immer noch da. Ich will den Kirchturm mit einem Sprung in den Heuhaufen am Boden verlassen, doch statt zu springen hängt Altair jetzt am hölzernen Vorsprung des Kirchturms. Er springt nicht, sondern hangelt am Balken. Also noch mal hoch. Jetzt klappt der Sprung. Am Boden will ich in der Menschenmasse verschwinden. Die Menschenmasse ist eher ein kleiner verstreuter Haufen und so laufe ich geduckt hinter der einzigen Person her, die sich in Richtung der Zielperson bewegt. Als ich glaube mich nahe genug am Podest der Zielperson zu befinden, wage ich einen beherzten Sprung. Ich habe mich nicht nahe genug am Podest befunden und statt das Podest zu erspringen, mache ich lediglich einen ungelenken Satz nach vorne. Die herumstehenden Wachen haben genug Zeit zu reagieren und stürmen auf mich los. Die Zielperson rennt davon. Eine Verfolgungsjagd zwischen den Wachen, Altair und der Zielperson entspinnt sich. Mein Versuch, schnell auf die Dächer zu gelangen, scheitert. Ich erwische die Dachkante nicht und lande auf dem Boden. Die Wachen stechen auf mich ein. Ich renne der Zielperson hinterher. Es dauert fast eine Minute bis ich den Vorsprung der Zielperson aufgeholt habe und sie wenig grazil von hinten ersteche. Die Wachen warten die anschließende Cutscene dankenswerterweise ab. Nachdem die Zielperson die Augen geschlossen hat, geht die Flucht weiter. Als ich glaube genug Vorsprung zu haben, werfe ich mich in einen Heuhaufen. Die Wachen stechen auf den Heuhaufen ein. Ich flüchte mit Mühe auf ein Dach. Die Wachen folgen mir. Ich springe zurück auf den Boden und setze mich auf eine Bank. Die Wachen laufen zur Bank und stechen auf mich ein. Mittlerweile sind über ein dutzend Wachen hinter mir her. Ich renne wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Stadt. Irgendwann springe ich wieder in einen Heuhaufen. Dieses Mal rennen die Wachen an mir vorbei. Der perfekte Meuchelmord findet seinen perfekten Abschluss.


Der erste Assassin’s Creed-Teil erschien bereits 2007 und führte mir vor Augen, dass Anspruch und Wirklichkeit manchmal weit auseinander liegen können. Statt perfekter Meuchelmörderei gab es viel häufiger unkoordiniertes und wildes Herumgerenne.

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