8 Bit Weapon

Videogames werden nicht nur von Kunst inspiriert, sie inspirieren auch selbst Kunst. Die einzigartige Hardware und Klangarchitektur früher Computer und Videospielsysteme hat nicht nur charakteristische Soundtracks in Games ermöglicht, sondern ein eigenes Musik-Genre zum Leben erweckt: Chipmusic! Eines der bekanntesten Duos in diesem Feld sind 8 Bit Weapon, das Band-Projekt von Michelle und Seth Sternberger aus Los Angeles. Seit 2006 erschaffen sie einen einzigartigen Sound, der auf den Videospielen und elektronischer Musik der 70er und 80er basiert. Mit ursprünglicher Videospiel-Hardware als Live-Instrumenten haben Michelle und Seth über zwanzig EPs und Alben produziert und mit weltbekannten Künstlern wie Kraftwerk und Information Society und Unternehmen wie Apple, Disney, Microsoft oder Sony zusammengearbeitet. Michelle Sternberger hat darüber hinaus mit ComputHer noch ein weiteres Chipmusic-Soloprojekt.

Wir haben mit Seth und Michelle von 8 Bit Weapon darüber gesprochen, wie sie die Technologie hinter alten Videospielsystemen und Computern nutzen, um damit Musik zu machen.


Michelle & Seth Sternberger

Wall Jump: Michelle, es gibt unzählige Möglichkeiten, elektronische Musik aufzunehmen. Wieso habt ihr euch für eure Musik auf die Technologie der Videospielkonsolen aus den 80ern beschränkt?

Michelle Sternberger: Als Musiker mochten wir es nicht, uns zu limitieren. Wir fühlten uns einfach zum Sound des Commodore 64 SID Chips oder auch Game Boy, Apple II, Atari 2600 oder NES hingezogen, auch wenn wir manchmal auch konventionelle Synth oder Live-Instrumente wie Schlagzeug oder Gitarren benutzen. Jedes System hat seinen ganz eigenen Sound, mit dem wir uns gerne befassen und ihn für unsere eigenen Songs entdecken.

Wall Jump: Wann seid ihr denn überhaupt zum ersten mal mit Videospielen in Berührung gekommen?

Michelle Sternberger: Ich bin zwischen Videospielkonsolen und Computern aufgewachsen. Meine Familie hatte mehrere Commodore 64, Amigas, einen Atari, das NES und eigentlich auch ziemlich jede Konsole aus jeder Generation danach. Ich hab echt Glück gehabt, aus einer Familie zu stammen, die schon mein ganzes Leben lang gemeinsam Videospiele gespielt hat.

Seth Sternberger: Mein Vater hat mich mit den frühen IBM Computern und dann einem TI99 vertraut gemacht, aber mein erster eigener Computer war der C64. Bei Freunden konnte ich auch NES oder Atari 2600 spielen, aber erst irgendwann Mitte der 2000er habe ich sie selbst besessen.

Wall Jump: Was hat denn dazu geführt, dass die Musik in Games für euch etwas besonderes wurde – und ihr euch entschieden habt, selbst mit ihr experimentieren zu wollen?

Michelle Sternberger: Die Musik war für mich immer ein wichtiger Teil des Spielerlebnisses. Als ich anfing, Videospiele zu spielen, habe ich immer auf die Musik geachtet. Und außerhalb des Gamings habe ich mich immer viel mit Musik beschäftigt und viele verschiedene Instrumente ausprobiert. Ich spiele Schlagzeug und ich kann ein bisschen Gitarrespielen. Chipmusik zu machen war dann einfach eine weitere Sache, die ich 2005 ausprobieren wollte, als ich meine Band ComputeHer startete. Dann habe ich 2006 mit Seth 8 Bit Weapon gegründet und es ist seitdem einfach so inspirierend und unterhaltsam.

Seth Sternberger: Für mich war der entscheidende Moment, als ich bei einem Freund „Adventure Construction Set“ von Electronic Arts gespielt habe. Das Titelthema ist noch immer einfach großartig und so dynamisch, selbst wenn man es mit aktueller Musik vergleicht. Noch am gleichen Tag habe ich mich ganz und gar in den Commodore 64 und seine Musik verliebt. In den späten 90ern habe ich als Synth-Musiker den C64 dann über sehr frühe Emulatoren wiederentdeckt und angefangen, SID-Tunes zu remixen. 2000 habe ich mir eine SIDstation angeschafft, ein via MIDI kontrollierbares SID Chip-Synth-Modul, und begonnen, damit eigene SID-basierte Songs aufzunehmen. Davor habe ich zwar Songs gemacht, die wie Chiptunes klingen sollten, etwa unseren Track „Robot Kindergarten“ um 1998, aber das waren nur normale Synthesizer.

Die Möglichkeit, für 10$ einen gebrauchten Game Boy und (damals) für 40$ eine LSDj Cartridge zu bekommen, hat sich wie ein Lauffeuer um den Globus verbreitet.

Seth Sternberger

Wall Jump: Ihr macht schon seit Ende der 90er Jahre Chiptune-Musik. Wie kam es denn dazu, dass der Chiptune-Sound auch abseits von Games in der Musikwelt plötzlich wieder eine Rolle gespielt hat?

Seth Sternberger: Vielleicht wegen Emulatoren wie SIDplay, mit denen man Computerspielmusik hören konnte, ohne das Spiel spielen zu müssen. Heute gibt es Chiptune-Apps für praktisch jedes System. SIDplay und Meridian und die NES/Game Boy-App waren mein iPad der späten 90er und frühen 2000er. 2002 habe ich meine erste Version von LSDj für den Game Boy bekommen, mit der man eigene Chiptunes im 4-Kanal-Format produzieren konnte. Wie vor zehn Jahren ist das noch heute der gängigste Weg, wie Leute Chipmusik machen. Die Möglichkeit, für 10$ einen gebrauchten Game Boy und (damals) für 40$ eine LSDj Cartridge zu bekommen, hat sich wie ein Lauffeuer um den Globus verbreitet. Die Musikindustrie ist uns schnell gefolgt: Information Society, DEVO, Trent Reznor mit Nine Inch Nails, Britney Spears und viele andere haben seitdem Chipmusik auf die eine oder andere Art in ihrer Musik verwendet. Wir haben in der Vergangenheit mit Mark Mothersbaugh von DEVO und Paul Robb von Information Society zusammengearbeitet und Chipklänge in deren Alben integriert.

Wall Jump: Wie würdet ihr denn Chiptunes als Musikgenre definieren?

Seth Sternberger: Für uns ist Chiptune eher ein Soundspektrum als ein Genre. Man kann ja auch schlecht sagen: Wie definiert sich Gitarrenmusik? Wenn du ein bestimmtes Musikgenre magst, gibt es vermutlich auch eine Chipmusik-Version dieses Genres.

Wall Jump: Während das Chiptune-Genre Künstler hervorgebracht hat, gab es nur wenige bekannte Musiker wie Chris, die sich mit Musik für Spiele selbst einen Namen machen konnten. Hat euch jemand wie Chris oder vielleicht ein bestimmter Spielesoundtrack maßgeblich bei eurer Musik geprägt?

Besonders liebe ich den Soundtrack von Maniac Mansion für das NES.

Michelle Sternberger

Michelle Sternberger: Ich denke nicht immer an Game-Musik, wenn ich meine eigenen Songs schreibe, aber ich hab natürlich meine Lieblingssoundtracks. Besonders liebe ich den Soundtrack von Maniac Mansion für das NES.

Seth Sternberger: Das sind fast zu viele, um sie aufzuzählen, aber hier sind einige meiner absoluten Favoriten: Adventure Construction Set für das C64, Metroid für das NES und Kings Quest IV sowie Space Quest III für den PC mit Soundblaster, nicht mt-32. 

Wall Jump: Habt ihr schon darüber nachgedacht, euren Chiptune-Sound um Live-Instrumente zu ergänzen?

Seth Sternberger: Ja, wir setzen auf manchen Tracks schon echtes Schlagzeug ein und waren wohl eine der ersten Bands, die echte Drums über Chipmusic auf einem Album gespielt haben. Wir haben auch schon Gitarren verwendet, aber da waren wir sicher nicht die ersten (lacht). Außerdem spielen wir auf einigen Alben das C64 live ein, wie ein Klavier, und benutzen spezielle Musik-Module.

Michelle Sternberger: Für mich sind der Game Boy und das Commodore 64 meine Live-Instrumente, denn ich spiele sie bei unseren Shows auch live. Sie mögen keine konventionellen Instrumente sein, sind aber letztendlich das, womit ich Musik mache. Ich habe aber auch schon traditionelle Instrumente wie Keyboards oder E-Drums bei unseren Liveshows gespielt.

Wall Jump: Glaubt ihr, dass Chiptunes auch andere populäre Electronic-Künstler beeinflusst hat?

Seth Sternberger: Na klar! Wir haben ja schon erwähnt, dass es zahlreiche Bands gibt, die Chipsounds in ihr Repertoire aufgenommen haben. Wir haben in der Vergangenheit selbst mit Mark Mothersbaugh von DEVO und Paul Robb von Information Society zusammengearbeitet und beide haben seitdem Chipsounds in ihren Alben verwendet. Mark hat sogar mal einem Artikel im Artforum International Magazin eine EP von uns zu seinen 10 Lieblingsalben 2011 gekürt!

Wall Jump: Von Anfang an waren Computer und Spielkonsolen für euch also Musikinstrumente, auch wenn sie eigentlich für etwas anderes gedacht waren. Würdet ihr von euch selbst sagen, dass ihr irgendwie auch echte Musikpioniere seid, weil ihr Computer dafür eingesetzt habt?

Michelle Sternberger: Ich finde schon, dass wir ein paar echte Pionier-Momente in unserer Band-Geschichte hatten. Auf Alle Fälle! Als Chipband haben wir soweit ich weiß ein paar Dinge als erste gemacht. Wir waren die ersten die auf unseren Show 2001 einen Commodore 64 als Live-Instrument benutzt haben. Unsere EP im Jahr 2005 und das folgende Album waren die ersten, Die Chipmusik und akustisches Schlagzeug kombinierten. Wir waren die erste Chipband, die 2001 auf TechTV in den USA im landesweiten Fernsehen ausgestrahlt wurden. 2005 haben wir als erste Band Chipmusic live mit einem C64 un dSchlagzeug auf G4TV im Fernsehen performt. 2006 haben wir als erste mit einen Apple II als Live-Instrument ohne vorprogrammierte Patterns eingesetzt. 2009 haben wir mit Sony Creative Software eine Loop-Bibliothek mit Sounds des Apple II, Commodore 64, Atari 2600, NES und Game Boy veröffentlicht und 2010 zusammen mit dem Programmierer MJ Mahon unsere eigene Apple II Synthesizer-Software entwickelt, die 8 bit Samples in einem 1bit Audiofenster auf der Plattform abspielt.

Wall Jump: Könnt ihr euch denn vorstellen, auch Musik für Spiele zu komponieren?

Michelle Sternberger: Seit über einem Jahrzehnt machen wir Musik für Videospiele wie auch TV, Film und mehr. Wir haben Musik für Nokia, Sony, Microsoft, Cartoon Network, Disney, das Smithsonian American Art Museum und mehr geschrieben. Wir haben außerdem ein Spiel namens Silo 64 für den Commodore 64 entwickelt, zu dem man eine beiliegende Soundtrack CD hören soll, während man das Spiel genießt.

Wall Jump: Michelle, Seth, vielen Dank für eure Zeit!

Seth Sternberger: Wir danken! Und lasst die Leute gerne wissen, dass sie unsere Musik auf unserer Website unter www.8bitweapon.com und Michelle’s Solo-Material unter www.computeher.com hören können!


Das Künstlerkollektiv 8 Bit Weapon wurde 1999 von Seth Sternberger gegründet. Zusammen mit Michelle Sternberger, die sich auch mit ihrem Solo-Projekt ComputHer einen Namen in der Chiptune-Szene machen konnte, hat 8 Bit Weapon bis heute 20 Alben veröffentlicht. 8 Bit Weapon war 2001 die erste Band, die mit einem Commodore 64 als Live-Instrument aufgetreten ist. 2006 hat das Künstlerkollektiv als erstes einen Apple II als Live-Instrument ohne vorprogrammierte Patterns eingesetzt. Mit der Hilfe des legendären Programmierers MJ Mahon veröffentlichten Seth und Michelle Sternberger 2009 eine Loop-Bibliothek mit Sony Creative Software veröffentlicht, die Klänge vom Apple II, Commodore 64, Atari 2600, NES und Game Boy vereinte. Neben Auftritten auf der E3 und im amerikanischen Fernsehen komponierten 8 Bit Weapon 2012 den Soundtrack und die Hymne der „The Art of Video Games“ Ausstellung im Smithsonian American Art Museum.

Eine gekürzte Fassung dieses Interviews wurde ursprünglich in Ausgabe 6 des deutschen Gaming-Bookazines WASD veröffentlicht.

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