Warren Spector

Warren Spector zählt zu den bekanntesten und einflussreichsten Spieleentwicklern der Videospielgeschichte. Ein Blick auf seine geschaffenen Werke zeigt, dass vor allem immersive Spiele, die dem Spieler zahlreiche Freiheiten und Entscheidungsmöglichkeiten einräumen, das zentrale Motiv seiner Arbeit darstellen. Bis heute gilt Deus Ex als Meilenstein, in dem er seine Philosophie in voller Gänze zur Entfaltung brachte und zudem zahlreiche Elemente aus unterschiedlichen Genres kombinierte. In unserem Interview spricht Warren Spector über seine Einschätzung zum aktuellen Stand der Videospielindustrie, die Möglichkeiten für junge Entwickler, seine Liebe zu Zelda: Breath of the Wild und seine Abneigung gegenüber F2P-Titeln.


Wall Jump: Was war das letzte Spiel, das Ihnen besonders viel Spaß bereitet hat und was hat Ihnen daran besonders gefallen?

Warren Spector: Zelda – Breath of the Wild ist ziemlich beeindruckend. Es ist schön zu sehen, dass die Entwickler den Spielern die Chance bieten, die Probleme auf ihre eigene Art und Weise zu lösen und nicht nach einem vorgegebenen Lösungsweg, den sich die Entwickler für das jeweilige Rätsel gewünscht haben. Ich bin kein Fan von Open World-Games nach dem „Gehe wohin auch immer du willst“-Motto, aber ich war schon immer von Spielen begeistert, die in die Kategorie der realistischen, immersiven Simulationen fallen. Also Spiele, in denen man sich wirklich so fühlen kann, als wäre man in einer alternativen Welt, in denen man mit der Simulation spielen und sich seine eigene, einzigartige Erfahrung schaffen kann. Breath of the Wild ist die Bestätigung, dass diese Art der „immersiven Simulation“ einem großen Publikum gefällt. Das ist großartig.

Wall Jump: Sie haben Videospiele in unterschiedlichen Genres für verschiedene Plattformen entwickelt. Im Laufe der Jahre hat sich die Spieleindustrie sehr gewandelt und die „ältere“ Generation bescheinigt ihr häufig, ähnlich wie beim Vergleich von früherer und heutiger Musik, dass früher alles besser war – stimmen Sie zu?

Warren Spector: Ja und nein. Auf der einen Seite vermisse ich die kleinen Entwicklerteams und reine Singleplayer-Spiele. Heute geht es um kompetetiven Multiplayer, Free-to-Play oder Loot-Boxen, langfristige Verkaufsstrategien und DLC, aber auch um Leute, die anderen Leuten beim Spielen zuschauen,… – all das erscheint mir, wie ich zugeben muss, merkwürdig. Nicht schlecht, aber merkwürdig.

Auf der anderen Seite leben wir in einer Zeit, in der jeder der eine Idee hat, ein Spiel entwickeln und damit ein Publikum erreichen kann – das war vor zehn Jahren noch nicht möglich, geschweige denn in den „guten, alten Zeiten“. Wie cool ist es denn, dass sich eine Frau heute eine kostenlose Game-Engine schnappen kann, sich in ihre Garage setzt, ein Spiel entwickelt und es anschließend digital vertreibt?! Die Vielfalt an Spielen und unterschiedlichen Stilrichtungen ist heutzutage erstaunlich. Es ist kaum möglich, all dies zu betrachten und es dabei nicht als großartige Zeit für Videospiele zu begreifen. Unabhängig davon, wie alt man ist!

Wall Jump: Können Sie etwas näher ausführen, in welchem Zustand sich die Videospielindustrie, ihrem Eindruck nach, momentan befindet? Wie hat sie sich in den letzten Jahren verändert?

Warren Spector: In Ansätzen habe ich das ja bereits beantwortet, aber gerne: Die „Mainstream“-Videospielindustrie wirkt zunehmend uninteressanter – und damit habe ich gerade dafür gesorgt, dass ich dort niemals mehr Arbeit finde. Zu viele Spiele tragen mittlerweile eine Nummer hinter ihrem Namen, zu viele Fortsetzungen, zu viele Reboots. Aber es gibt tausende von Indie-Entwicklern die machen was sie wollen und die sich nicht darum kümmern, den maximalen Ertrag rauszuholen und die sich auch nicht darum scheren, ob ihre Spiele einnehmend genug sind, sodass der Spieler über Jahre hinweg kein anderes Spiel mehr anpacken möchte. Der Zustand der Mainstream-Industrie ist „meh“. Der Zustand des Mediums „Videospiel“ ist durchaus solide.

Wall Jump: Die kanadisch-amerikanische Medienkritikerin Anita Sarkeesian sah sich auf diversen Social Media-Plattformen sexistischen und rassistischen Hassbotschaften ausgesetzt, weil sie die Darstellung und Rolle von Frauen in Videospielen kritisierte. Sean Murray, der Entwickler von No Man’s Sky, erhielt Todesdrohungen über Twitter und Facebook. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele, aber es scheint, als würden Videospiele mittlerweile sehr ernst, wohl zu ernst, genommen werden. Wie gehen Sie mit dieser Entwicklung um? Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?

Warren Spector: Glücklicherweise habe ich nie Todesdrohungen erhalten, aber natürlich habe ich auch schon einiges an negativem Feedback abbekommen. Was du ansprichst, entsteht dadurch, dass Videospiele den kulturellen Wandel und aktuelle Strömungen widerspiegeln. Die westliche Kultur scheint zunehmend rauer zu werden und auch Spieler sind davor nicht gefeit. Diese Derbheit zeigt sich eben offensichtlich auch in der Art und Weise, wie wir im Internet kommunizieren. Vielleicht mache ich mich mitschuldig, indem ich die Probleme fortbestehen lasse, aber ich versuche mich einfach auf die Entwicklung der Spiele zu fokussieren, die ich machen möchte – wohlwissend, dass einige Leute es nicht mögen und überreagieren werden.

Wall Jump: Überspitzt formuliert konnten vor 25 Jahren zehn Leute ein Spiel entwickeln, das bis heute noch bekannt ist. Heutzutage arbeiten über 100 Leute an einem Videospiel, von denen viele zwei Wochen nach der Veröffentlichung schon wieder vergessen sind. Was halten Sie von dieser Entwicklung und glauben Sie, dass es innerhalb der Branche zu einem Umdenken kommen wird?

Warren Spector: Was du hier beschreibst, ist in meinen Augen eine gesunde Aufteilung innerhalb der Entwicklung von Videospielen. Ja, bei der Mainstream- / AAA-Entwicklung gibt es große Teams – und sie werden zunehmend noch größer – aber es gibt eben auch die Indie-Bewegung, die einen entgegengesetzten Weg einschlägt und es uns erlaubt, Spiele mit kleineren Teams für kleineres Geld zu entwickeln. Mein letztes Studio Junction Point hatte zu seinen besten Zeiten über 200 Leute, die alle an einem einzigen Spiel arbeiteten – und zu dieser Zahl können zusätzlich noch zahlreiche Vertragspartner und Fremdfirmen außerhalb von Junction Point gezählt werden. Unterm Strich denke ich aber, dass das Entwicklungsmodell von vor 25 Jahren auch heute noch seine Berechtigung hat.

Wall Jump: Wie erklären Sie sich den großen Boom von Casual- und F2P-Games? Ist das eine Folge der Innovationsarmut, die Sie im Bezug auf die großen AAA-Entwickler geäußert haben? Wird die neue Spielergeneration zu dieser Art des Spielens gar „erzogen“?

Warren Spector: Ich denke die Social Games erleben solch einen Boom, weil Menschen von Natur aus einfach gesellige Wesen sind. Schau dir Spiele über Jahre hinweg an – und mit Jahren meine ich tatsächlich Jahrtausende. Spiele, nun vielleicht mit der Ausnahme von Solitär, wurden seit jeher entwickelt, um Menschen gegeneinander antreten oder miteinander spielen zu lassen. Spiele waren ein soziales Erlebnis – bis zum Aufkommen von Videospielen, die das Konzept „Singeplayer“ mitbrachten. Die zu beobachtende Entwicklung im Bereich der Social Games lässt erkennen, dass sich die Spiele wieder zunehmend ihrem Ursprung annähern. Was allerdings F2P-Games betrifft, so werde ich die von ihnen ausgehende Anziehungskraft wohl bis an mein Lebensende nicht verstehen. Würde ich die Welt regieren, würden wir etwas entwickeln, es verkaufen und uns auf die nächste Sache stürzen. Aber so funktioniert die Welt heutzutage nicht mehr. Man muss sich anpassen – und das Publikum irrt niemals.

Spiele waren ein soziales Erlebnis – bis zum Aufkommen von Videospielen, die das Konzept „Singleplayer“ mitbrachten.

Warren Spector

Wall Jump: Wie beurteilen Sie die Chancen für junge Entwickler heute in der Spielebranche Fuß zu fassen? Ist es aufgrund der vielen frei erhältlichen Dev-Kits und Plattformen (Browser-Games, iPhone, iPad, Indie-XBLA, etc.) einfacher als früher sich einen Namen zu machen und seine Projekte zu verwirklichen?

Warren Spector: Jungen Entwicklern steht heutzutage wirklich eine bunte Mischung zur Auswahl. Auf der einen Seite gibt es zahlreiche freiverfügbare Tools und viele unterschiedliche Distributionswege,… das bedeutet, dass praktisch jeder seine Ideen in die Wirklichkeit umsetzen und damit ein Publikum erreichen kann. Aber darin besteht zugleich das Problem. Jeder kann heute ein Spiel entwickeln. Es ist unglaublich schwer, die Leute auf dein Spiel aufmerksam zu machen. Es existiert so viel Wettbewerb, so viel Lärm. Der Schlüssel zum Erfolg ist, dass man heraussticht und das ist alles andere als leicht. Aber wenn es dir gelingt, dann kann man sich heute tatsächlich einfacher als früher einen Namen machen. Dem zu Gute kommt, dass sich die Leute heute offensichtlich auch mehr für die Personen hinter den Spielen interessieren. Früher hat sich keiner darum geschert, wer das Spiel entwickelt hat. Heute interviewen Menschen wie du Menschen wie mich!

In den Büroräumen von Ion Storm: Tom Hall, John Romero und Warren Spector

Wall Jump: Welche Ratschläge würden Sie den jungen kreativen Entwicklern geben, die in der Branche Fuß fassen wollen oder gerade am Anfang ihrer möglichen Karriere stehen?

Warren Spector: Oh man, darüber ließen sich ganze Bücher füllen und ich glaube nicht, dass du für meine Ausführungen in aller Ausführlichkeit so viel Platz hättest…

Erstens: Stelle sicher, dass du Spiele wirklich liebst – falls nicht, wird dich die mühsame und harte Spieleentwicklung wie eine Fliege zerquetschen. Es macht nicht nur Freude und Spaß Spiele zu entwickeln!

Zweitens: Entwickle Spiele. Es gibt einen erbitterten Konkurrenzkampf um Jobs in der Spieleindustrie, also finde einen Weg um herauszustechen. Deine Bewerbung sollte ein Portfolio deiner selbstentwickelten Spiele beinhalten. Damit beweist du, dass du weißt was du tust und dass du etwas zu Ende bringen kannst.

Drittens: Erkenne dich selbst. Sei dir bewusst was du werden möchtest und sei gut darin. Denn zur Erinnerung: Der Konkurrenzkampf ist hart! Sei ein guter Programmierer, ein toller Künstler, ein großartiger Entwickler. Und sei in der Lage auszudrücken, welche Art von Programmierer, Grafiker oder Designer du bist. Bist du als Grafiker spezialisiert auf 3D-Modelle für Innen- und Außenbereiche oder auf die Animationen? Level-Designer oder System-Designer? Und so weiter,…

Viertens: Fange nicht damit an all deine großartigen Ideen zu bewerben. Ideen zu haben ist einfach und diejenigen, die bereits in der Spieleentwicklung arbeiten, haben mehr davon, als sie in ihrer gesamten Karriere jemals umsetzen können.

Und zum Schluss: Bemühe dich um eine umfassende Allgemeinbildung. Erzähl mir nicht, dass du Spiele über alles liebst und dass das alles sei, was du tust. Sprich mit mir über Filme und Bücher, über Geschichte, Psychologie und Wirtschaft,… – wenn du dich nur im Bereich von Videospielen auskennst, wirst du niemals mehr tun, als vorhandene Spiele zu imitieren. Daran bin ich nicht interessiert.

Okay, genug – und wie gesagt: Darüber, wie man Fuß in der Spieleindustrie fassen kann, ließen sich ganze Bücher schreiben – und Leute haben das auch schon getan.

…wenn du dich nur im Bereich von Videospielen auskennst, wirst du niemals mehr tun, als vorhandene Spiele zu imitieren.

Warren Spector

Wall Jump: Welchen Beruf hätten Sie heute wohl, wenn Sie nicht in der Spieleindustrie gelandet wären? Würden Sie diese Wahl heute noch einmal treffen?

Waren Spector: Tatsächlich bin ich dort völlig unverhofft gelandet. Ich war ein mittelmäßiger, aber leidenschaftlicher Spieler, als ich in einen Job bei Steve Jackson Games reinrutschte, einem kleinen Entwickler von Tabletop-RPG-Spielen, ansässig in meinem Wohnort in Austin (Texas). Das war nicht geplant und zu diesem Zeitpunkt hatte ich eigentlich für mich beschlossen, dass ich an einer Universität Filmwissenschaften lehren möchte. Ich wollte nichts mehr als ein Filmhistoriker zu sein, der Filme schaut, Bücher schreibt und so weiter. Vermutlich würde ich das also heute tun. Ob ich dieselbe Wahl noch einmal treffen würde, wenn ich mein Leben erneut leben könnte? Absolut. Der Job als Spielentwickler hat es gut mit mir gemeint und es war bislang eine tolle Karriere. Ich habe mit einigen der besten, kreativsten und klügsten Köpfe, die man sich nur vorstellen kann, zusammengearbeitet. Ich konnte daran teilhaben und zuschauen, wie das Medium „Videospiel“ von einem Kleinkind zu einem, nicht zu einem Erwachsenen – soweit sind wir noch nicht, aber zu einem Teenager herangewachsen ist. Es ist nichts Alltägliches, dass man der Geburt eines solches Mediums beiwohnen und, vielleicht, eine kleine Rolle bei seiner Entwicklung spielen darf. Ach, und außerdem bin ich nicht wirklich qualifiziert dazu, um irgendetwas anderes zu tun als Spiele zu entwickeln – also würde ich die Wahl natürlich noch einmal so treffen!

Wall Jump: Gibt es irgendetwas, was Sie schon immer loswerden wollten, aber bislang keine Chance dazu hatten?

Warren Spector: Ich glaube, ich habe in den letzten Jahren genug erzählt und bin erstaunt, dass überhaupt noch jemand etwas von mir hören möchte. Daher werde ich mich an dieser Stelle in höflicher Zurückhaltung üben. Vielen Dank für die Möglichkeit deine Fragen zu beantworten.


Warren Spector ist ein US-amerikanischer Spieleentwickler, der bis heute zu den einflussreichsten Vertretern des Mediums zählt. Neben Deus Ex wirkte er unter anderem an der Wing Commander- und Ultima-Reihe mit, bescherte Mickey Mouse in den beiden Disney Micky Epic-Titeln einen düsteren und stilvollen Auftritt und war außerdem der kreative Kopf hinter System Shock und Thief. Zudem unterrichtete er Game-Design an der Universität von Texas.

This post is also available in: Englisch

Share: