Wut auf Toad

Das neue Jahr ist da. Unser Jahresrückblick ist online und es ist Zeit für frische, neue Texte voller rührender und intensiver Momente, die uns beim Videospielen gepackt haben. Ich mache den Aufschlag und habe mich dazu entschieden, über meinen Hass auf Toad zu schreiben. Das ist der Pilzkopf aus dem Pilzkönigreich, der immer fröhlich ist. Als mein Vater vor einiger Zeit erstmals selbst einen Controller in der Hand hielt und das Schloss in Super Mario 64 betrat, war Toad die erste Figur, die ihm begegnete: „Das ist ja Aladdin! Was macht der denn in Marios Schloss?“

Die Toad-Lore ist ein bisschen merkwürdig. Ursprünglich schien es sich um viele identische Lakaien von Prinzessin Toadstool zu handeln und vermutlich waren es auch in jedem Schloss von Super Mario Bros. andere Knechte, die verkündeten, dass dies nun wirklich nicht das richtige Schloss sei und dass man völlig ohne Not dem Lavatod nur knapp entkommen ist. Später gab es dann den einen Toad, der demütig bei allen Sportevents mitmachen durfte und dafür eine gewisse Persönlichkeit und – viel wichtiger – eine Stimme erhielt. Zwar hat sich das inzwischen weiter verkompliziert und das Aufkommen von Captain Toad stellte alles infrage, was man über die Diener der Prinzessin zu wissen schien, doch es geht mir hier um diesen spezifischen Sport-Toad.

Mit dem Startscreen von Super Mario 64 hörte ich Mario zum ersten Mal sprechen. Man könnte meinen, dass es ein verstörender Moment ist, wenn eine liebgewonnene Figur plötzlich eine Stimme erhält, doch die Performance von Charles Martinet machte unmittelbar klar: Das ist Mario! Doch mit Mario war es nicht getan, denn nur wenige Monate später brauchten sieben weitere Nintendo-Ikonen eine Stimme für Jubel und Entsetzen in den schwer umkämpften Mario-Kart-Rennen. Unter ihnen: Toad. Das zweifelsfrei beste an dem ganzen Spiel war für mich immer Toads Schrei, wenn er von einem Panzer getroffen wurde. Es war eine Mischung aus Fassungslosigkeit und purer Agonie. Als könnte er nicht glauben, wie stark der Schmerz war, den er empfand. Niemand litt so sehr wie Toad. Zusammen mit seiner grenzenlosen und scheinbar in nichts begründeten Selbstüberzeugung („I AM THE BEST“) wurde Toad mir so zum sympathischsten Fahrer – und das nur dank seines enthusiastischen Sprechers.

Mit dieser seltsamen Persönlichkeit wuselte sich der kleine Pilzkopf durch mehrere N64-Spiele, bevor mir dieselbe Stimme ein ganzes Spiel madig und meinen Restknopf kaputt machte. Mario Golf überlebte nicht lange in meinem Konsolenschacht. Wann immer ich einen Ball in die Wildnis („Out of Bounds“) kloppte, erschien ein fahnenschwingender Toad, der mir erklärte, dass ich den Ball besser nicht in die Wildnis kloppen sollte, begleitet von einem mitleidigen Laut der Enttäuschung. Als ob das eine Information wäre, die mir möglicherweise fehlte. Doch in Wahrheit wollte das Schwein nur Salz in die Wunde streuen. Ich schlug den Ball leider sehr oft in die Wildnis, denn ich musste mich erst mit den komplexen Eigenheiten dieser hyperrealistischen Golfsimulation vertraut machen. Und so hatte ich wohl eine Begegnung zu viel mit Toad und seiner verdammten Flagge.

Meine eigenen, andauernden Unzulänglichkeiten von diesem mit einem absurd großen Ego ausgestatteten Prinzessinenknecht mit dem Sound von Mitleid gewürzt unter die Nase gerieben zu bekommen, versetzte mich dermaßen in Rage, wie mich nie zuvor und nie danach ein Spiel in Rage versetzt hat. Dieser abgesägte Lakai hat mir nicht mitleidig die Grundregeln dieses Spiels für Kindergartenkinder zu erklären! Nach nur wenigen Minuten Spielzeit schrie ich etwas wie „F&%K DICH, TOAD. F$=K DICH UND DEINE GANZE FAMILIE!“ durch den Raum, während ich mich kochend vor Wut auf mein N64 zubewegte und den Resetknopf dermaßen hart in die Konsole hämmerte, dass er nicht wieder herauskam.

Der Funktionalität der unverwüstlichen Hardware tat dies keinen Abbruch, dennoch störte es mich jahrelang und war stets eine Erinnerung an diese unrühmliche Episode. Erst vergangenes Jahr behob ich diesen Makel, indem ich mein N64 aufschraubte und den Knopf aus seinem einzementierten Gefängnis löste.


Nicht, dass ich wüsste, ob die Spielereihe wirklich etwas taugt – Das Spiel selbst oder einen seiner Nachfolger habe ich nie wieder angerührt und habe auch nicht vor, je etwas daran zu ändern. Angeblich ist jedoch die GameBoy-Version mit Rollenspielelementen die beste von allen. Die N64-Version erschien 1999 (da war ich 15!), es folgten Versionen für den GameCube, den GameBoy Advance und den 3DS. Toad war übrigens neben Bowser mein Lieblingsfahrer bei Mario Kart 64, aber was er mir draußen auf dem Grün angetan hat, habe ich ihm (oder mir selbst?) nie verziehen. Und die Leute sagen, Golf sei ein entspannender Sport.

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