Besser ballern mit Halo – wo bleiben die Nachahmer?

“Früher war alles besser!” Bei “Halo” fällt es nicht schwer, sich der Versuchung hinzugeben, diesen Satz über die Lippen zu bringen. Halo hat Ego-Shooter auf Konsolen praktisch salonfähig gemacht. Twin-Stick-Steuerung, offene Welten, Fahrzeuge, regenerierbare Energie, zwei Waffen statt prallgefüllte Waffenräder, Offline- und Online-Multiplayer par excellence und dieser unverwechselbare audiovisuelle Bombast gepaart mit einer tiefgreifenden (letztlich aber ziemlich überladenen und verworren erzählten) Science-Fiction-Storyline schufen ein einzigartiges Gesamtpaket, das auch heute noch den großartigen Ruf des Franchise begründet, obwohl die letzten beiden Ableger doch viel zu wünschen übrig ließen. Nach einer sechsjährigen Pause stand zuletzt auch die grundsätzliche Relevanz der Reihe zur Debatte, nachdem die ersten Ingameszenen aus Halo Infinite im Spätsommer 2020 für kollektives Entsetzen und die Verschiebung des Titels um ein ganzes Jahr sorgten. 

Ob Story, Inszenierung und die neue Kampagne im Open-Word-Setting an frühere Standards anknüpfen können, wird derzeit ja allerorts diskutiert und soll unsere Sorge hier nicht sein. Denn der wahre Star bei Halo ist seit jeher das Spielgefühl, das in Halo Infinite einmal mehr Maßstäbe setzt und in mir erneut die Frage aufwirft, warum selbst im Jahr 2021 noch so wenige Studios eine ruckelige Warthog-Fahrt auf vernünftiges Aiming bei einem Konsolen-Shooter geben? Die Formel dafür liegt seit 20 Jahren auf dem Tisch und basiert grob gesagt auf der so genannten “Reticle Friction”, einer Mechanik, die dafür sorgt, dass das Fadenkreuz beim Zielen hängenbleibt bzw. sich verlangsamt sobald man damit über einen Gegner fährt. Dies Formel war bereits in”Halo: Combat Evolved” angerührt und wurde von Entwickler Bungie im Nachfolgewerk “Destiny” verfeinert, nachgewürzt, einmal kräftig umgerührt und mittlerweile als Sieben-Gänge-Menü aufgetischt. Als überzeugter Aim-Assist-Klaus lege ich deshalb auch in Halo Infinite nur allzu gerne wieder Hand an. Es fühlt sich mit Controller wunderbar smooth und eingängig an von Headshot zu Headshot zu gleiten, während ich die Konsolen-Versionen von Overwatch, Wolfenstein, Battlefront, Battlefield, Battlefarm, Battlefirm oder Battlefrontyard meistens nach kurzer Anspielzeit wieder frustriert weggelegt habe. In diesen Titeln trifft die alte Leier aus dem Lager passionierter PC-Spieler voll ins Schwarze. Ego-Shooter auf Konsolen? Lolski Podolski, viel zu unpräzise! Wer soll sowas spielen? Davon abgesehen, dass PC-Spieler zum Beispiel in Destiny selbst auch von ausgeklügelten Aim-Assist-Systemen und dem so genannten “Bullet Magnetism” profitieren, führen die Zielhilfen in Halo Infinite offenbar dazu, dass PC-Spieler im aktuell noch zwanghaft verschriebenen Crossplay gegenüber den Konsoleros in Sachen Zielgenauigkeit sogar das Nachsehen haben. Ein pfiffiger Reddit-User hat sich auf Basis von halotracker.com schlau gemacht und Genauigkeitsdaten verglichen. In seiner selbstgebastelten Grafik führt er jeweils die besten Halo-Spieler mit Controller als auch die besten Spieler mit Maus und Tastatur auf und vergleicht sie mit durchschnittlichen Spielern aus beiden Kategorien. Dabei kristallisieren sich für Spieler, die einen Controller nutzen, deutliche Vorteile heraus.

Nichtsdestotrotz halte ich vermischte Spielserver mit Controller-, sowie Maus/Tastatur-Spielern nicht unbedingt für spaßfördernd und will hier auch keine Lagerdebatte vom Zaun brechen. Halo Infinite beweist aber mal wieder, dass es technologisch schon seit langem möglich ist, Ego-Shooter so angenehm spielbar zu machen, dass es keine Schande ist, sich bewusst für den Controller als präferierte Eingabemethode zu entscheiden – selbst auf kompetitiver Ebene. In dynamischen Arenashootern wie Halo oder Destiny führt schnelles Aiming ohnehin nur selten zum Ziel, da die wenigsten Waffen mit einem Schuss töten. Wichtiger ist, bei aller Hektik und unter gegnerischem Dauerfeuer kontinuierlich auf dem Ziel drauf zu bleiben. Aber auch vermeintlich ruhigere Shootergames würden erheblich davon profitieren, wenn Entwickler mehr Wert darauf legen würden, die Controller-Steuerung vernünftig anzupassen. In Zeiten von Crossplay, das die Unterstützung von Maus und Tastatur auf Konsolen gerade salonfähig zu machen scheint, mache ich mir aber besser keine allzu große Hoffnungen. Solange es allerdings Halo und Destiny benötigt, um dieses einzigartige Spielgefühl eines Ego-Shooters zu transportieren, den ich gar nicht auf dem PC spielen WILL, solange bleibt auch die Relevanz beider Reihen nicht in Frage gestellt. Hier ist nämlich “heute noch alles besser”, obwohl es längst nicht mehr so sein müsste. 


Halo Infinite ist der sechste Hauptableger der Halo-Reihe und einer der herausragenden Ego-Shooter des Jahres. Einzel- und Mehrspieler wurden getrennt voneinander veröffentlicht, der Mehrspieler-Modus am 15. November 2021 und die Story-Kampagne am 8. Dezember, jeweils auf Xbox One, Xbox Series X|S und PC. 

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