Uganda von oben

Das sonore Geräusch der Flugzeugmotoren in den Ohren werfe ich einen kurzen Blick aus dem rechten Bordfenster und blicke auf die schier unendliche Weite des Victoriasees. Der Himmel ist strahlend blau, kein Wölkchen am Horizont. Gerade bin ich am Flughafen von Entebbe abgehoben, der einstigen Haupstadts Ugandas. Das erste mal war ich hier vor drei Jahren, als ich spätnachts mein Gepäck in etwas, das hoffentlich ein Taxi war, wuchtete, und mich zu einer kleinen Lodge am Stadtrand fahren ließ.

Aus meiner einmotorigen Maschine versuche ich den Weg nachzuempfinden. Die zweispurige Straße vom Flughafen gen Norden am See entlang, bis zum kleinen Einkaufszentrum gleich am Park, dann hinter Kreisverkehr – oder wie man den großen, runden Sandplatz nennen mag, durch den sich der Verkehr chaotisch, aber irgendwie doch erfolgreich seinen Weg bahnt. Soweit so gut. Ich sehe den Sumpf, an dessen Rand die Lodge lag, von deren Terasse man auf einen kleinen Teich blicken konnte. Langsam verringere ich meine Flughöhe, noch etwas wacklig, und tatsächlich: Das kleine Häuschen mit dem Hof liegt direkt neben mir, genau wie in meiner Erinnerung.

Während ich vor drei Jahren erst einmal den Jetlag augeschlafen hatte, um mich dann leicht überfordert ans Steuer auf der rechten Seite des alten Toyota Landcruiser (Spitzname „Golden Wonder“) zu setzen, gönne ich mir hier keine Pause. Wie auch, schließlich hat mir niemand beigebracht, wie man ein Flugzeug landet. Doch das ist erstmal egal. Denn ich versuche, meine damalige, erste Reiseetappe nachzuvollziehen. Ich erinnere mich gut an die erste Fahrprüfung: Nach wenigen Kilometern war die ausgebaute Straße gen Kampala gesperrt und ein handgemaltes Schild wies mich, vereinfacht gesagt, einmal über die Böschung auf einen Feldweg – die landesüblichen Dirt Roads. Der Blick auf Google Maps oder die Straßenkarte aus Papier war hier sofort keine Hilfe mehr und die erste kleine Ansiedlung aus Wellblechhütten, auf der sich die Straße in vier Richtungen gabelte, überforderte meine Sinne und meine Orientierung gleichermaßen. So musste ich alle Sicherheitsbedenken, die mir der Reiseführer und die stets mahnende Webseite des Auswärtigen Amts im Vorfeld eingebläut hatten, schon nach einer guten Stunde über Bord werfen und mich auf die Auskunft eines Ugander verlassen, der die Chance nutzend direkt und ohne zu Fragen auf der Rückbank des Jeeps Platz genommen hatte. Ein Glück, dass er tatsächlich in die gleiche Richtung wollte wie ich.

ACHTUNG, SCHLAGLOCH!

Aus der Vogelperspektive des Flugzeugs war dieser Abstecher nun deutlich einfacher: Die Ansiedlung ließ sich schnell finden, viel spannender aber, wie deutlich nur ein Weg der richtige sein konnte – und die anderen Möglichkeiten schon nach wenigen Kilometern in einem Spinnennetz aus Staubpisten verschwanden. Also weiter gen Norden, hin zur Hauptstraße, die den Osten und Westen des Landes miteinander verband. Ein Land wie Uganda ohne Verständnis von den Anzeigen und Koordinaten, die man in der Luftfahrt sonst zu brauchen scheint, zu erfliegen, hat seine Vorteile: Die Landschaft ist spärlich besiedelt, es gibt wenige Straßen und noch weniger, die zumindest teilweise eine Teerdecke haben – und gleichzeitig ändern sich Landschaft und Vegetation auf der Route in den Westen zügig. Per Auto dauerte es gute 7 Stunden, die ich von Entebbe zum Lake Mburo National Park fahren musste. Mangels Verkehr, Schlaglöchern und kurzen Fotostopps ließ sich diese Zeit in der Luft aber lässig auf vier Stunden abkürzen.

Richtig gelesen: Ich bin vier Stunden vor meiner Xbox gesessen, um eine echte Reise nochmal nachzuempfinden. Uganda als Selbstfahrer zu erkunden, zählt zu den vielleicht spannendsten und eindrucksvollsten Erlebnissen meines Lebens. Der Blick auf die Fotos bringt zwar Erinnerungen zurück, wirklich da gewesen zu sein, ist allerdings häufig schwer vorstellbar. Tatsächlich hat der virtuelle Airtrip meine Erwartungen nicht enttäuscht. Das Gefühl für die Distanz, für die sich langsam verändernde Landschaft, die kleinen Dörfer am Wegesrand, die „Commercial Center“ – Ansiedlungen von Backsteingebäuden, in denen Waren aus der umliegenden Gegend verkauft wurde – all das kam zurück. Die herausragende Grafik des Spiels vermag es tatsächlich überraschend häufig, das Gefühl von Fotorealismus zu erzeugen. Selbst entlegene Winkel der Strecke konnte ich wiedererkennen, mich an Ortsnamen und zugehörige Situationen erinnern, die ich längst vergessen hatte.

DIE STRASSE STEHTS IM AUGE

Natürlich kann eine Reise mit dem Flugsimulator eine echte Reise nicht ersetzen. Es fehlen die Gerüche, die Strapazen, vor allem die Begegnungen. Vor allem aber: Man kann nirgends ankommen. Das erfrischende Stoney (eine sensationelle Ingwer-Limo des Coca-Cola-Konzerns, die er unerklärlicherweise nur in verschiedenen afrikanischen Ländern verkauft) bei Ankunft auf der Terasse der Lodge mit Blick auf den Sonnenuntergang und eine Horde diebischer Paviane wird rigoros durch eine verzweifelte Bruchlandung ersetzt, die mich direkt zurück in das Hauptmenü schleudert. Trotzdem waren diese vier Stunden eine der eindrucksvollsten Spieleerfahrungen, die ich in den letzten Jahren machen durfte – und die ich mit keinem anderen Moment mit dem Gamepad in der Hand gleichsetzen kann.

Meine nächste Reise soll mich übrigens nach Kanada führen. Welche Route ich da nehmen will? Vielleicht sehe ich mir dieses mal einfach alles davor schon mal im Flight Simulator an.


Microsofts Flight Simulator in seiner 2021 für PC und Xbox veröffentlichten Neuauflage ist das vielleicht schönste Spiel, das es aktuell gibt. Nicht nur, weil die unglaublich beeindruckende Engine ein dreidimensionales Abbild der gesamten Welt geschaffen hat, das es so noch nie gab, sondern, weil man nahezu unentwegt besondere Orte entdeckt – ob unvergessene Urlaubsreisen, fremde Sehnsuchtspunkte oder das eigene Zuhause aus der Luft.

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