Sprung ins Wasser

Ich kannte das alles schon. Ich war durch den Dschungel gelaufen und hatte mich über das kluge Design und die kreativen Ideen gefreut. Ich wurde ein bisschen gefordert, ein bisschen erfreut, vollkommen in meiner Comfort-Zone eingekuschelt. Mehr vom Selben, aber mehr vom Guten. Ich konnte mich wirklich nicht beschweren. Den Zauber von früher erwartete ich ohnehin nicht und ich brauchte ihn auch nicht. Doch dann bekam ich ihn.

Level 4-3. Eine Höhle, eine Brücke, ein Pinguin. Ambient Sounds und dann ein Sprung ins Wasser.

Wenn man an einem heißen Tag aus großer Höhe ins Meer springt, verändert sich alles. Die Hitze, die Geräusche, das grelle Licht, alles weicht mit einem Schlag der kühlen Ruhe und Weite des Meeres. Die Zeit steht kurz still. Bei Donkey Kong Country Tropical Freeze geht das so: Die Standardoptik weicht den schon aus anderen Levels bekannten Silhouetten. Ein visueller Kniff, der so sparsam vom Spiel eingesetzt wird, dass er sich nicht abnutzt. Hübsch. Die Musik blubbert vor sich hin, sicher ein weiterer schöner Track von David Wise. Und dann setzt das Piano ein.

Die leicht verzögerten Noten, die vertraute Soundpalette, die sehnsuchtsvolle, aber glasklare Melodie. Ich schwamm Fischschwärmen hinterher, um durch giftiges Gestrüpp zu gelangen, brachte uralte Maschinen zum leuchten und tanzte mit den leuchtenden Quallen in tiefsten Tiefen. Im Hintergrund Pottwale. Ein gigantischer Katzenfisch öffnet mit seinem Schädel einen neuen Weg. Donkey Kong ist eins mit der Natur. Ich bin eins mit Donkey Kong. Purer Eskapismus. Und über allem „Amiss Abyss“ von David Wise.

Als angekündigt wurde, dass Retro Studios sich nach ihrer beeindruckenden Arbeit an der Metroid-Franchise der Donkey-Kong-Country-Reihe widmen würde, war ich begeistert. Die ersten drei DKC-Spiele für das SNES sind mehr als alle anderen „meine Spiele“. Ich alleine entdeckte sie und machte sie zu einer Lieblingsreihe. Der erste Teil war bei meinem gebraucht gekauften SNES dabei. So etwas hatte ich noch nie gespielt. Die Optik, die Geschwindigkeit, die Herausforderung und nicht zuletzt die Musik. Tiefe Trommeln, treibende Bassläufe, Trubel, Spannung, Nervenkitzel. Kurz darauf war im Rahmen eines Ferienlagers in Kanada für ein Wochenende zu Gast bei einer Familie, um das echte Leben im exotischen Ausland kennenzulernen. Und was war? Der Sohn hatte ein SNES. Aber es war nicht mein SNES, es war klobiger und pastellig-lila, das war sonderbar. Und er spielte Donkey Kong Country. Aber es war nicht mein Donkey Kong Country, es war bunter, besser, mehr. Und als ich zurück in Deutschland war, gab es auch dort: Donkey Kong Country 2. Mein Hirn zersprang. Und nur ein Jahr später kam Teil 3. Und immer wieder war es nicht zuletzt die Musik, die mich so begeisterte.

Retro Studios Neuauflage erfüllte dann alle Hoffnungen: Donkey Kong Country Returns ist nicht bloß eine Reproduktion der alten Spiele. Es steuert sich großartig, das Leveldesign ist modernisiert, die Welten sind glaubwürdig und liebevoll gestaltet – Es ist objektiv besser als die ursprüngliche Trilogie, hatte aber natürlich nicht dieselbe Wirkung auf mich. Als Tropical Freeze angekündigt wurde, war ich fast etwas enttäuscht, denn ich war satt und hätte lieber etwas anderes von Retro gehabt. Einzig die Ankündigung, dass im Gegensatz zum Vorgänger David Wise für den Soundtrack verantwortlich sein würde, ließ mich aufhorchen. Schließlich war er es, der den Großteil der Stücke auf dem SNES komponiert hatte, die mir bis heute im Kopf hängen und so viel zum Legendenstatus dieser Spiele beitragen. Und tatsächlich waren die Stücke allesamt ganz wunderbar. Doch dann dieser Sprung ins Wasser in 4-3 und dieses Stück: ein perfekter Moment, der die Zeit anhält. Tropical Freeze ist mehr als SNES-Nostalgie. Es ist ein audiovisuelles Meisterwerk und der beste Plattformer aller Zeiten.


Donkey Kong Country Tropical Freeze von 2014 ist noch immer das aktuellste Projekt von Retro Studios, die mit drei Metroid- und zwei DK-Spielen ein konstant hochqualitatives Portfolio abgeliefert haben. Was in den letzten sechs Jahren schief gelaufen ist, ist Anlass zahlreicher Spekulationen. Derzeit arbeitet das Studio am vierten Teil von Metroid Prime. Die Unterwasserwelt 4-3 kann man nicht nur auf der Wii U, sondern inzwischen auch der Switch erforschen.

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