Schönheit durch Zerstörung

Ich mag Aufbausimulationen. Die Vorstellung, in einem Spiel ganzheitlich für einen bestimmten Ort verantwortlich zu sein, dort hochkomplexe Prozesse souverän zu managen, um etwa ein Eisenbahnnetz, einen Luxushotel, eine Metropole oder vielleicht gleich ein ganzes Land in Blüte und Wohlstand zu führen, spricht mich unmittelbar an. Denn wer, wenn nicht ich, mit meinem Organisationstalent, gleichermaßen dem Blick fürs Detail wie das große Ganze und einem untrüglichen ästhetischen Empfinden, wer wäre denn besser geeignet, das schiere Nichts in reine Perfektion zu wandeln?

Doch trotz dieser Begeisterung, so richtig weit spiele ich die meisten Genrevertreter dann nie. Ob es die Krankenhäuser im fantastischen Two Point Hospital, der Dinopark in Jurassic World Evolution oder das ländliche japanische Schienennetz in A-Train: All Aboard! Tourism waren, irgendwie hat mich dann doch bei der ersten großen Herausforderung die Spielfreude verlassen. Sollen sie doch an der Clownskrankheit sterben! Vom T-Rex gefressen werden! Zu Fuß zum Tempel gehen! Ich kann mich doch nicht um diese ganzen selbstverschuldeten Problemchen der virtuellen Bewohner kümmern, wenn sie meine Vorstellungen eines perfekten Ortes nicht teilen. Denn leider wird mein nachvollziehbarer Hang zu gestalterischen Feinheiten und rigidem Ordnungswahnsinn von sekundären Spielzielen bestraft, die etwa soziale Komponenten vor mein Idealbild des Schauplatzes setzen

Aber woher stammt meine dennoch unerschütterliche Liebe zum Genre? Los ging alles mit Sim CIty 2000. Den Hype über den Vorgänger und die Super-Nintendo-Version konnte ich nie teilen, Sim City 2000 mit seiner übersichtlichen isometrischen Perspektive, der gleichzeitig detaillierten und doch einfach lesbaren Pixelgrafik ist für mich allerdings bis heute der schönes und beste Teil der Reihe. Gleichzeitig hat mich Sim City 2000 damals noch nicht mit Funktionen überfrachtet. Neben Strom auch noch irgendwelche Wasserleitungen zu legen, fand ich zwar auch schon doof, aber damit war es irgendwie dann schon getan. Ansonsten war das Prinzip klar: Hier ein Gewerbegebiet, da ein Wohngebiet, dazwischen Polizei, Feuerwehr und Krankenhaus und ein bisschen abseits die Großindustrie und Kraftwerke. Um immer im budgetären Rahmen zu bleiben, griff ich zu einem in der Politik allseits beliebten Trick: Illegale Spenden. Diese, in Form eines Cheat-Codes eingegeben, sorgten dafür, dass meinem Bautrieb nichts mehr im Wege stand. Mit größtmöglicher Sorgfalt konnten also Straßen und Viertel auf dem Reißbrett konstruiert werden. Danach galt es eigentlich nur noch, die ablaufende Zeit zu beschleunigen und zuzusehen, wie meine Stadt in all ihrer Perfektion gedeihen würde.

Und doch war alles Bestreben vergeblich: Irgendwo waren die Bewohner unzufrieden, weil der Strom ausfiel, die Kleinkriminalität anstieg oder die nächste Schule zu weit entfernt war. Dabei war alles genau so positioniert, wie es sein sollte! Das perfekte Stadtbild war mir einfach wichtiger, als die Zufriedenheit ihrer Bewohner. Und wer mit meiner Kreation nicht leben konnte, sollte es spüren. So endete eigentlich jede Runde Sim City 2000 gleich: Ich griff zum nächsten Cheatcode und beobachtete, wie das unwürdige Volk und meine Stadt von Tornados, Erdbeben oder sogar Außerirdischen dahin gerafft wurde. 

Viele Städte, Freizeitparks und andere Schauplätze später hat sich an diesem Spielverhalten wenig geändert. Und irgendwie frage ich mich: Mag ich Aufbausimulationen eigentlich wirklich? Oder sind es die Zerstörungssimulationen, die mich eigentlich begeistern? Denn schon in der Philosophie ist bekannt: Ohne Zerstörung keine Schönheit!


Sim City 2000, das tatsächlich schon 1993 für den PC erschien und in zahlreichen, seltsamen Versionen auf nahezu alle Systeme der damaligen Zeit und sogar den Game Boy Advance portiert wurde, durfte eines der seltsameren Hobbys meiner frühen Kindheit ins digitale Zeitalter überführen: Straßenkarten malen.

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