Kuh

Unser Mixtake widmet sich diesen Monat einer völlig zu Unrecht unterrepräsentierten Spezies in der Welt der Videospiele. Bühne frei für kuhle Texte von kuhlen Leuten, garantiert ohne weitere kuhle Wortspiele.


Keine Kuh. Nirgends.

Benjamin

Als wir überlegt haben, worüber wir dieses Mal im Mixtake schreiben, bin ich sofort auf das Thema „Kühe“ angesprungen. Kühe in Videospielen. Ein tolles Thema. Das war mir sofort klar. Aber jetzt denkt mal alle scharf nach, was euch dazu einfällt. Wenn euer Hirn in Richtung Harvest Moon, Stardew Valley, Story of Seasons oder gar Farmville schielt, muss ich euch enttäuschen: Ich habe noch nie eine Farmsimulation gespielt. Stimmt nicht. Ich habe mal eine Woche im Krankenhaus verbracht und es war so langweilig, dass ich mir einen kleinen TV samt GameCube organisiert habe. Darauf spielte ich erstmals ein ausgeliehenes Harvest Moon. Und zwar so lange, bis ich einer Kuh einen Namen geben sollte. Ich nannte sie „Kuh“. Mein Tutorial-NPC entgegnete: „Kuh. Das ist aber ein hübscher Name für eine Kuh.“ Ich schmunzelte und entschied mich in dem Moment, das Experiment abzubrechen und Metroid Prime zu spielen.

Ansonsten sind Kühe erstaunlich abwesend in Videospielen. Mit fällt kein einziger Kuhprotagonist ein. Man steuert Bären, Beutelratten, Geckos, Drachen, Füchse (viel zu viele Füchse!), Katzen, Spinnen und mir fallen sogar gleich zwei Chamäleons ein. Aber keine Kühe. In einem N64-Prügler konnte man eine Kuh freischalten, das weiß ich, weil ich früher wirklich jeden noch so irrelevanten Artikel in der TOTAL! gelesen habe. Und bei Earthworm Jim spielen Kühe eine wichtige Rolle, aber das ist auch schon der gesamte Humor, den diese Spielereihe zu bieten hat. Ach ja. Jim ist ein Regenwurm. Ein Regenwurm hat mehr Präsenz als so gängige Tiere wir Kühe. Sogar Entenhausen hat Klarabella Kuh.

In Videospielen werden Kühe zu Milchgebern degradiert. Das wird diesen liebevollen und intelligenten Tieren nicht gerecht. Kühe weinen tagelang, wenn man ihnen die Kälber entzieht, damit sie noch mehr Milch für die Menschen produzieren. Wo ist der Kuhrevolutionssimulator. Nicht in Sicht.

Doch gerade, als ich meinen Wall-Jump-Kolleg:innen schreiben wollte, dass wir uns mit dem Thema vergaloppiert hätten und auf Pferde umsatteln sollten, fiel mir ein: Es war wieder die TOTAL!, die mir in einer seitenfüllenden, sensationellen News davon berichtete, dass das kommende South-Park-Spiel für das N64 einen Kuhwerfer bieten würde, mit dem man seine Gegner in Deathmatchrunden vernichten könne. Fast hätte ich mir das Spiel wegen dieser Nachricht alleine gekauft. Abgehalten wurde ich vom Review in der TOTAL!, das dem Spiel attestierte, nicht gut zu sein. Trotz Kuhwerfer.

Warum nicht.

Was auf keine Kuhhaut geht

Mirko

Eine Kuh macht muh, viele Kühe in Ocarina of Time leben unter der Erde. Wie bitte? Das ist doch kein natürliches Habitat für eine Kuh! Aber immerhin sind sie dort sicher – vor herabfallenden Felsen, Malons kalten Händen und Aliens (alles davon gehört zum Zelda Canon).

Vor mir hingegen gibt es kein Verstecken. Ich finde die Erdkühe und flöte ihnen ein Lied, auf dass sie mir segensreiche Lon Lon Milch spenden. Und ich finde diese verspielte Co-Existenz ganz nett, denn wir könnten auch ganz anders.

Wäre Nintendo in der Interaktion mit Kühen so morbid gewesen wie bei seinen digitalen Hühnern, dürfte Link Kühe zumindest schubsen können. Das ist zwar in der Realität nicht wirklich machbar, aber jede halbwegs ernsthafte Comedy denkt sich Geschichten um diese Freizeitgrausamkeit aus. Im Schlafen oder Dösen soll man sie erwischen, dann wäre es leicht. Es gibt ganze Handbücher dazu. Und es klingt witzig. „Kuhschubsen“ ist das einzige Wort, bei dem selbst bei mehrfacher Wiederholung keine semantische Sättigung einsetzt. Es bleibt einfach immer witzig.

Nicht so witzig hingegen ist der Fakt, dass Kühe im Durchschnitt 20 Menschen pro Jahr umbringen (in den USA). Das ist zwanzig Mal mehr als Haie im selben Zeitraum (auch in den USA). Wobei es viele Dinge gibt, die statistisch gefährlicher sind als Haie. Leitern oder Rasenmäher zum Beispiel. Fear the real killer.

Wer darüber nicht lachen kann, dürfte das eigentliche Drama kennen: Die Krone der Schöpfung behandelt Kühe unfassbar grauenvoll, sowohl in der realen Welt als auch im Videospiel. Dauerträchtig und eingepfercht, verwahrlost und für die Schlachtbank gemästet. Auf letzterer landet in Deutschland jeden (!) Tag ein Stadion voll Kühe. In Zelda sind die Wiederkäuer auch nichts weiter als ein Itemshop auf vier Beinen. In Breath of the Wild zerlegen sie sich sogar bereitwillig selber zu saftigen Steaks, attackiert man sie tödlich.

Ob Link jetzt vegan werden soll? „So wertvoll wie ein kleines Steak“, „Die Milch macht’s“ waren schon immer nur Marketingsprüche, aber sie haben diese Magie, diese ultimative Macht, diese allen Widersprüchen und Nuancen trotzende Kraft: Sie machen die Dinge normal. Nichts wird mit soviel Mundschaum verteidigt wie etwas, das wir für normal halten. Dass Link Kühe melkt, schlachtet und isst ist so normal wie dass Zelda wieder irgendwo gefangen ist. Eine Industrie, die langsam ihrer Adoleszenz entwachsen sein dürfte, darf sich vielleicht die ein oder andere Frage gefallen lassen, wie viel Anteil sie an welcher Normalität haben will.

Traurige Nasenring-Kuh könnte, rein körperlich, ihren Peinigern ein jähes Ende bereiten

Wo bleibt der Lebenshof-Simulator?

Thomas

Ich liebe Kühe! Seit 2020 unterstützen meine Freundin und ich einen so genannten Lebenshof, also einen ehemaligen Bauernhof, der irgendwann entschieden hat, mit der Ausbeutung der Tiere Schluss zu machen und die Kühe einfach Kühe sein zu lassen. Das heißt: Abhängen, grasen, Kälber aufziehen dürfen – und das Wichtigste: nie mehr Angst vor dem Viehtransporter zu haben. Tierschutz, eine geniale Erfindung! Doch völlig unterrepräsentiert in Videospielen. Während ringsherum jedes ehemals erfolgreiche Harvest Moon von seinen eigenen Machern unter dem Titel Story of Seasons quasi neu veröffentlicht wird und die One-Man-Wrecking-Crew namens Eric Barone mit Stardew Valley praktisch den definitiven Farming-Simulator in Eigenregie zusammengejodelt hat, vermisse ich ein Game, das sich mal zu hundert Prozent dem Lebenshof-Prinzip verschreibt. Das muss es doch geben, während die vegane Lebensweise bei uns Millennials immer populärer wird und Lebenshöfe ja praktisch “on brand” arbeiten. Woran scheitert es denn? Zu langweilig? 

Alleine den Umstieg eines bestehenden Bauernhofs in einen Lebenshof zu bewältigen, finde ich aus der wirtschaftlichen Perspektive schon enorm spannend. Wo kommen plötzlich die Einnahmen her, wenn man keine Milch und kein Fleisch mehr verkauft? Was kostet die Nahrung und tierärztliche Versorgung der Kühe? Wie funktioniert die Instandhaltung der Weide? Wie findet man Pat:innen und Spender:innen für die Kühe? Was bietet man Ihnen, damit eine Bindung zu den Tieren entsteht? Etwa durch Besuche, Events, Social Media oder Merch. Da geht doch was, liebe Simulationsentwickler:innen, ähnliche Mechaniken gibt es doch bereits in vielen anderen Spielen. Und wem das zu basic ist, dem könnte man auch ein wenig Action bieten. 

Geister versuchen Kühe zu entführen (Zelda: Majora’s Mask)

Zum Alltag eines Lebenshof-Betreibers gehören nämlich auch weniger erquickende Tätigkeiten als das Ausmisten des zugekoteten Winterstalls oder das Durchladen der nach Snacks schmachtenden Vierbeiner mit Möhren und Äpfeln. Zum Beispiel der Umgang mit Annette und Achim von nebenan, die sich von der Viehhaltung im Heimatort belästigt fühlen, da diese “nichts bringe”. Was tun, wenn sie den Lebenshof-Betreibern vor lauter schlecht kanalisierter Wut über den Spiegel, den ihnen diese Höfe vorhalten, regelmäßig das Veterinäramt auf den Hals hetzen? Zum Glück gibt es auch hierfür passende Analogien, die sich zu Gameplay verarbeiten lassen. Ich sehe schon vor mir, wie wir nachts die Weide gegen zombiefizierte Nachbarshorden verteidigen müssen, Zäune reparieren inklusive. Gelingt es den Nachbarn, zehn Kühe auf den Viehtransporter zum Schlachthof zu bugsieren, dann hast du verloren. Erneut versuchen? Ein bißchen wie damals, als die Romani Ranch in Zelda: Majora’s Mask nachts von Geistern heimgesucht wurde, die die Kühe entführen wollten. Dort ist es gut ausgegangen. Hier wird es das auch. Ich glaube fest daran, dass der Lebenshof-Simulator irgendwann erscheint. Und bis dahin fahre ich einfach weiter als wandelnder Gemüse-Automat zu meinen Patenrindern.


Kuhntrovers

Janina

Durch Benjamins Erwähnung des Kuhwerfers habe ich mich an ein Spiel erinnert, in dem Kühe ebenfalls als Waffe eingesetzt wurden. Zu jener Zeit, als die Bloodhound Gang mein mit South Park Postern tapeziertes Zimmer beschallte, die Jackass Crew meine Helden waren und ich mir deshalb sogar einen Pogostick zulegte, erschien ein Spiel, das perfekt den grenzwertigen Humor dieser Ära einfing. Nennen wir es Briefträger 2. Damals haben Spielemagazine indizierten Spielen lustige Namen gegeben, bei denen trotzdem alle wussten, was gemeint war. Ob das heute noch Praxis ist, kann ich nicht sagen, denn ich lese nicht mehr. Save a tree, burn a book. Das hat mich geprägt.

Der verweste Kuhschädel war mit Milzbrand-Erregern befallen und sonderte bei Gebrauch eine Wolke ungesunder Farbgebung ab. Schleuderte man ihn auf Passant:innen, verendeten diese, während sie eine nicht unerhebliche Menge Blut spuckten. Man sollte tunlichst vermeiden, selbst in die Seuchenwolke zu laufen. Gefunden werden konnten die Köpfe meistens auf einem Grill, was ein guter Grund war, Vegetarierin zu werden.

Die Kuh als tödliche Waffe

Es ist die einzige Waffe aus dem Spiel, an die ich mich gut erinnern kann. Dabei konnte man Katzen als Stoßdämpfer benutzen und unbefangen durch die Gegend urinieren. Aber das Waffenarsenal gestaltete sich erstaunlich konservativ. Zwischen Pistole und Shotgun fiel der Kuhkopf auf. Und ich lachte darüber! Vielleicht würde ich das heute noch, aber es gibt einige Stellen aus Briefträger 2, über die ich wahrscheinlich nicht mehr lachen würde. Es nutzt eine Art von schwarzem Humor, die es sich einfach macht, indem sie sich keinerlei Regeln unterwerfen möchte. Damals war das für mich in Ordnung, weil ich klar zwischen dieser ins Absurde übersteigerten Darstellung und meiner Realität unterscheiden konnte, in der extremes Verhalten nicht vorkam. Ich beleidigte meine Freundinnen nicht, aß kein aus Kotze gebackenes Omelett und hätte niemals meiner Katze ohne ihre ausdrückliche Einwilligung oder medizinische Notwendigkeit Dinge in Körperöffnungen geschoben.

Tatsächlich steht für mich Briefträger 2, und damit der Milzbrand-Kuhschädel, stellvertretend für eine Zeitspanne von wenigen Jahren, in der wir als junge Menschen Medien völlig naiv und unbeschwert konsumieren konnten, die keine Tabus kannten, und uns einreden konnten, dass das ja nichts mit der Realität zu tun hätte. Alles nur Spaß, und wenn andere es geschmacklos fanden, war es um so lustiger. „Politisch inkorrekt“ hatte noch keinen negativen Beigeschmack, weil man dabei überhaupt nicht an Politik dachte. Dann lernte ich 4chan kennen und begriff, dass jede noch so absurd wirkende Übertreibung da draußen echte Anhänger findet, die ziemlich eklig drauf sind, und dass auch Gags Konsequenzen haben können. Ich sehe Briefträger 2 nach wie vor als eine Art Satire ohne böse Absichten. Aber der Kuhschädel war trotzdem nie wieder derselbe, denn ich hatte keine Lust mehr auf mein ehemaliges Lieblingsspiel, nachdem es für mich seine Unschuld verloren hatte.


Fleisch-und-Leder-Höhle

Sven

Eine Sache, an die ich mich immer wieder gerne erinnere, ist meine Fleisch-und-Leder-Höhle in Minecraft. Um mich durchgängig mit den im Titel der Höhle versteckten Materialien versorgen zu können, kam ich eines Tages auf die Idee, einen Berg auszuhöhlen. Grundsätzlich ist das Aushöhlen von Bergen jetzt keine Besonderheit in Minecraft, macht man das schließlich andauernd, aber meine Höhle war etwas ganz Besonderes.

Ich schnitzte eine große Halle in das Innere eines Berges, versah sie mit nur einer einzigen Tür als Ein- und Ausgang und führte anschließend ein paar Kühe hinein. Von diesem Moment an lebten diese Kühe in meiner Kuh-Halle, wurden gefüttert und zur reichhaltigen Vermehrung motiviert.

Alle paar Tage rannte ich dann mit einem Schwert durch die Halle und tötete etwa die Hälfte aller Kühe. Diese Tat stattete mich mit ausreichend Fleisch und Leder aus, um die ersten Tage in der Welt von Minecraft überleben zu können.

Irgendwann hatte ich meine Versorgung mit Lebensmitteln anderweitig sichergestellt und benötigte kein Leder mehr, da ich mehrere tausend Stück davon in meiner Kiste herumliegen hatte. Um mich nicht länger mit dem ethischen Konfliktgemuhe aus dem Untergrund belasten zu müssen, tat ich das einzig Logische: Ich entfernte die Tür, mauerte das Loch zu und nahm mir vor, einfach nicht mehr über meine Taten nachzudenken.

Hin und wieder hörte ich zwar noch ein leises Muhen, wenn ich mit einem Minenwagen durch den Untergrund und an der vergessenen Höhle vorbeifuhr, jedoch gewöhnte ich mich schnell daran. Meistens musste ich sogar ein kleines bisschen lachen.

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