Feeling clever. Might murder later.

Sich für einen kurzen Moment richtig schlau zu fühlen, gehört zu den schönsten Belohnungen, die mir ein Videospiel bieten kann. Leicht ist das nicht. Früher hat es gereicht, ein paar Fun Facts aus der Micky Maus vor meiner Familie zu zitieren. Später musste ich dann ernüchtert feststellen, dass die Hälfte meines Freundeskreises laut hoch seriöser Online-IQ-Tests verkannte Genies waren. So ein Ärgernis. Dabei war ich immer eine, die in Teenie-Zeitschriften (öhm, selbstverständlich nicht in meinen eigenen, denn so einen Schund kaufen intelligente Mädchen nicht) angekreuzt hat, dass Intelligenz wichtiger als Schönheit oder Berühmtheit sei. Als sich abzeichnete, dass es möglicherweise nicht zum Nobelpreis reichen würde, musste ich mir Bestätigung über andere Wege suchen.

Wenn man dem guten Gefühl hinterherjagt, sich trotz der Vier in Mathe wie Sherlock Holmes fühlen zu wollen, landet man schnell bei Point-and-Click-Adventures. Allerdings haben viele von ihnen das Problem, dass manche Rätsel dann doch nicht so logisch nachvollziehbar sind, wie sie sein sollten. Bei mir kommt ein ungesunder Ehrgeiz dazu, der mir verbietet, einen Blick in Komplettlösungen zu werfen. Während ich einigermaßen damit leben kann, an einer Geschicklichkeits-Herausforderung zu scheitern und mir helfen zu lassen, soll sich mein Hirn bei Rätseln bitte keine Blöße geben. Und dann dieses ewige Herumgelaufe, wenn man nicht weiß, ob einem noch ein Item fehlt! Ich brach also immer wieder frustriert Adventures ab, bis ich dem Genre komplett den Rücken kehrte.

EIn chaotischer Haufen Notizen.
Meine Ermittlungsarbeit auf der Obra Dinn

Dann kam wie aus dem Nichts Return of the Obra Dinn. Das von Lucas Pope entwickelte Indie-Game ließ einen an Bord eines von der Besatzung verlassenen Schiffes Nachforschungen anstellen. Hier wurden allerdings keine Dialogbäume abgearbeitet, sondern bloß die Sekunden um gewaltsame Tode herum beobachtet. Reduziert auf das wesentliche Murder Mystery, ohne dabei an Anspruch einzubüßen, ermittlet man für jede Person deren Schicksal und trägt es im Logbuch ein. Ich verbrachte Stunden gebannt vor Papier und Bleistift, träumte von Morden in Schwarz-Weiß und das Gefühl, wenn man einen weiteren Eintrag korrekt ausfüllen konnte, war unglaublich befriedigend. Leicht war Obra Dinn nicht, aber durch diese kleinen Erfolgserlebnisse stand für mich nie zur Debatte, aufzugeben.

Leider musste ich danach vier Jahre auf ein vergleichbares Spielerlebnis warten, aber vor kurzem erschien The Case of the Golden Idol. Von dem an klassische Point-and-Click-Adventures erinnernden Grafikstil sollte man sich nicht täuschen lassen, denn es hat viel mehr mit Obra Dinn gemeinsam. Man untersucht Mordfälle, indem man Momentaufnahmen betrachtet, aus denen man kombinieren muss, was genau passiert ist. Das Interface und die Steuerung sind allerdings deutlich einsteigerfreundlicher, der Papierverbrauch geringer und auch der Schwierigkeitsgrad insgesamt wurde hier etwas niedriger angesiedelt. Was beide Spiele gemeinsam haben, ist das – zumindest für mich – faire Balancing. Niemand möchte durch zu leichte Rätsel beleidigt werden, aber durch die komplett logisch aufgebauten Aufgaben ist ein Durchkämpfen ohne Hilfe und ohne großen Frust möglich. Und dann belohnt einen auch Golden Idol mit exakt diesem wunderschönen Gefühl der Selbstüberschätzung, das einen für einen kurzen Moment glauben lässt, jeden Cold Case der Kriminalgeschichte lösen zu können – oder selber den perfekten Mord planen zu können. Ich wünsche mir mehr solche Rätselspiele, die zwar eine spannende Geschichte erzählen, aber nicht durch Dialoge, sondern rein durch Beobachten und Kombinieren.


The Case of the Golden Idol wurde von Color Gray Games entwickelt, erschien im Oktober 2022 für den PC und war mein persönliches Spiel des Jahres. Es könnte ruhig mehr Aufmerksamkeit vertragen, also seht es euch doch mal an.

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