Pilzsuppe im Pilzhaus

Als meine Oma mich eines Tages fragte, ob ich mit ihr in den Wald gehen und Pilze sammeln wolle, sagte ich selbstverständlich sofort zu. Ich mochte meine Oma. Sehr sogar.

So lief ich kleiner Grundschüler mit ihr durch den Wald und ließ mir erklären, welche Pilze essbar waren und welche nicht. Immer wieder zogen wir Pilze aus dem Boden und sammelten sie in einem Korb, wodurch die Szene schon fast zu klischeebeladen klingt, um wahr zu sein. Aber es war so. Das Wetter war angenehm warm, der Wald spendete Schatten, Pilze wurden gesammelt und ich genoss die Zeit.

Auf dem Heimweg wurde mir dann klar, dass ich eine Sache nicht bedacht hatte. Mit den Worten »Und jetzt machen wir uns eine leckere Pilzsuppe.« erinnerte mich meine Oma daran, dass ich Pilze nicht mochte. Und zwar gar nicht. Der Geschmack, die Struktur, das Aussehen… nichts an Pilzen traf auch nur per Streifschuss meine Geschmacksnerven und nicht einmal die beste Automatisch-Zielen-Funktion eines Konsolenspiels hätte daran etwas ändern können.

Für Ausreden war es jedoch zu spät. Eigentlich hätte ich es mir ja denken können. Man geht ja auch nicht zum Bäcker und kauft sich frischen Kuchen, um ihn anschließend nicht zu essen. Ich wusste, dass ich mir keine vernünftige Ausrede zurechtlegen konnte, um der Pilzsuppe auszuweichen.

Ich hatte nur eine Option: Ich musste meiner Oma sagen, dass ich keine Pilze mochte. Es gab da nur ein Problem. Und dieses Problem lag versteckt im ersten Absatz: »Ich mochte meine Oma. Sehr sogar.« Und der Klang ihrer Stimme, als sie die Zubereitung der Pilzsuppe ankündigte, machte es mir unmöglich, sie zu enttäuschen. Der Tag war so schön gewesen. Und ich wollte, dass sie ihn für immer so schön in Erinnerung behalten würde.

So würgte ich die Pilzsuppe Löffel für Löffel herunter. Immer und immer wieder bewegte ich Pilz um Pilz in Richtung Mund, steckte ihn hinein, kaute angewidert darauf herum und beförderte ihn in meinen Magen. Bissen für Bissen wurde mir immer unwohler. Das Gefühl, mich übergeben zu müssen, wurde immer stärker. Es war gar nicht unbedingt der Geschmack der Suppe. Es war die Konsistenz der Pilze. Die Struktur. Das Weiche. Das Glibberige. Das Labbrige. Das Gefühl beim Kauen, wenn man das überhaupt Kauen nennen kann. Als würde man mit den Zähnen feuchte Popel zerdrücken. Die Schimmelschicht aus einer in der Sonne stehengelassenen Saftflasche ziehen und im Mund zermalmen. Eiter auf einem Teller sammeln und ein wenig trocknen lassen, um ihn anschließend zu verspeisen.

Ich aß meinen Teller vollständig auf. Und den Nachschlag, den einem jede Oma andreht, wenn man bei ihr isst, selbstverständlich auch. Ich ließ mir nichts anmerken. Ich lieferte mir ein knallhartes Duell mit dem Vorschlag meines Magens, die ganze Sache durch Brechen abzubrechen. Ich gewann das Duell. Und obwohl ich gewann, hatte ich gleichzeitig auch etwas verloren. Und zwar die Möglichkeit, jemals wieder Pilze essen zu können.

Shroomchitect gelingt ein wahres Kunststück. Es versetzt mich zurück in die Zeit vor der Suppenankündigung. Zurück in die Zeit, als ich mit meiner Oma durch den Wald lief und Pilze aus dem Boden zog. Mir jeden von ihnen in aller Ruhe und von allen Seiten ansah. Hin und wieder schnitt meine Oma Stücke aus ihnen heraus, um mir etwas zu zeigen oder zu erklären. Jeder Pilz war eine kleine, faszinierende Welt, über die es viel zu lernen gab. Diese Ruhe hatte ich lange vergessen. Sie ist lange verdrängt worden vom Gefühl des Ekels.

Ich habe bereits viele Stunden in der Welt von Shroomchitect verbracht. Hier gibt es nur ein einziges Ziel: Bau ein kleines Häuschen in einen Pilz. Es gibt keine Vorgaben, man kann nicht verlieren, man ist einfach nur für sich. Ich habe mir Pilze mit einem Interesse angesehen, das ich lange nicht mehr verspürt habe. Jeder Pilz steckt voller Potenzial. Man muss nur ganz genau hinsehen.

Mittlerweile lebt meine Oma nicht mehr. Den Tag mit den Pilzen werde ich aber nie vergessen. Nur der Fokus der Geschichte hat sich ein klein wenig verschoben. Statt an die Pilzsuppe denke ich an die Zeit im Wald. Das Suchen, das Sammeln, das Gucken und das Zuhören. Eigentlich war es doch ein wunderschöner Tag. Und ich hoffe einfach, dass meine Oma ihn auch so in Erinnerung behalten hat.


In Shroomchitect baut man Häuser in Pilze. Im Grunde ist das schon alles. Und das ist auch gut so. Das Spiel gibt es bei itch.io. Außerdem habe ich es auf meinem youtube-Kanal gespielt.

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