Philosophie und Logik

Auf den ersten Blick ist The Witness einfach nur ein hübsch verpacktes Knobelspiel. Es wird gern mit Myst verglichen, weil wir uns ganz ähnlich durch eine offene Welt bewegen wie in dem Adventure-Klassiker. Der Kern ist allerdings ein gänzlich anderer. The Witness lebt von seinem Forschungsdrang – allerdings wörtlich gemeint. Es ist ein von Logik durchtränktes Puzzle. Alle Aufgaben und Rätsel sind durch logische Zusammenhänge miteinander verwoben. Was zunächst keinen Sinn ergeben hat, fügt sich nach und nach zusammen. Es ist ein bisschen wie das Lernen einer neuen Sprache, die in diesem Fall vollständig auf Logik basiert. Die letzten Rätsel lassen sich erst lösen, wenn auch die ersten gelöst und vor allem auch verstanden wurden.

Doch obwohl ich diese Art von Knobeleien liebe, spielten sie für mich in The Witness am Ende trotzdem nur eine Nebenrolle. Für das Lösen besonders kniffliger Aufgaben gab es als Belohnung nämlich Codes, mit denen sich in einem kleinen Kino kurze Videos freischalten ließen. Und eben jene Videos waren der eigentliche Schatz des Spiels. Entwickler Jonathan Blow hat kleine Meisterwerke gewitzter Menschen zusammengetragen, die das Streben nach Wissen und Erkenntnis feiern und er hat selbst einen Beitrag eingesprochen, der sein eigenes Streben beschreibt. Es sind zwei Stunden mit inspirenden Sichtweisen, philosophischen Fragen und klugen Ideen. Sie regen an, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, in der wir leben. Sie rufen auf, nicht die einfachen Wahrheiten zu akzeptieren, sondern Fragen zu stellen und selbst nachzudenken. Und es geht darum, auch in der modernen Welt, nicht den Fokus zu verlieren und bei sich selbst zu bleiben.

Ich war begeistert!

„Verweile doch, du bist so schön“ – dieser Satz aus „Faust“ von Wolfgang Johann von Goethe steht Synonym für die rastlose Neugier des Menschen. Er steht für sein stetes Streben und der nicht enden wollenden Suche nach Erkenntnis. Der kluge Faust ging einen Pakt mit dem Teufel ein, dass dieser seine Seele bekomme, sobald sein Hunger gestillt ist. Doch so sehr es der Teufel versuchte, Faust war nie vollkommen zufrieden.

Auch dieser Tage ist das Thema aktuell. Es ist ein Kampf um Wissen und Wahrheit entbrannt, doch an den Fronten stehen selten Verfechter von Neugier und Erkenntnis. Wir diskutieren breit über den Wert von Fakten und Emotionen – doch meist am Kern der Sache vorbei. Wir schenken unsere Aufmerksamkeit banalen Dingen, während für Wichtiges keine Zeit bleibt. Und dafür mag ich The Witness und seinen versteckten Schatz. Es erinnert mich immer wieder daran, wie wunderbar das Leben ist, wenn wir mit offenen Augen durchs Leben gehen und ergründen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“.


The Witness ist 2016 für PC und PS4 erschienen und inzwischen auch für Xbox One, Mac und iOS erhältlich. Es ist nach dem Indie-Liebling Braid das zweite Spiel von Jonathan Blow. Er schätzt, dass im Schnitt 80 Stunden Spielzeit nötig sind, um die mehr als 650 Rätsel zu lösen. Enthalten ist auch eine Aufgabe, von der Blow sagt, dass weniger als 1 Prozent sie lösen kann.

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