Mega Klang

Als 1997 der erste PC bei uns im Wohnzimmer stand, freute ich mich sehr darüber, meine Eltern tatsächlich davon überzeugt zu haben, ohne Computer nie wieder für die Schule lernen zu können. Man hatte mir sogar die neuste Encarta-CD geschenkt. Endlich stand meiner Bildung nichts mehr im Weg. Dass man mir auch eine Diskette mit vier Videospielen geschenkt hatte, war zwar auch ganz nett, dennoch versuchte ich, meine Freude eher in Richtung Lexikon zu lenken, um meine Lüge nicht schon am ersten Abend auffliegen zu lassen.

An den Computer waren zwei Boxen angeschlossen. Diese hatten ein Problem: Sie funktionierten nicht richtig. Der Lautstärkeregler war kaputt. Sie kannten lediglich zwei Stufen: »Aus« und »Voll aufgedreht«. Man mag nun einwenden, dass sie somit eigentlich alle wichtigen Funktionen besaßen, jedoch waren meine Eltern anderer Meinung. Schon während der ersten Woche stellten sie mit einem immer wieder ausgesprochenen »Mach die Scheiße aus!« Fest, dass Lernen ganz schön laut sein kann. Vor allem, wenn es eher Spielen ist.

Die Spiele auf der Diskette hießen: The Incredible Adventures of Mad Mac, Wari Strategy, Brix 3 Superlogic und Mega Dschump!. Sortiert habe ich die Spiele in obiger Liste nach Häufigkeit der »Mach die Scheiße aus!«-Rufe. Wenn man von einem Spiel behaupten kann, dass meine Eltern es mochten, dann von Mad Mac. Das lief nämlich nicht und schaltete direkt nach Spielstart meinen Rechner aus. Die nächsten beiden waren nicht so schlimm wie Platz Nummer eins: Mega Dschump!.

Stellt euch vor, ihr spielt Basketball, nur ohne Korb und den ganzen neumodischen Schnickschnack. Also im Grunde dribbelt ihr lediglich. Mit einer Holzkugel. In Medizinballgröße. Auf einem Holztisch. In einer leeren Großraumlagerhalle. Das ist Mega Dschump!. Ihr steuert einen springenden Ball durch einen Level, sammelt Punkte und versucht, das Ziel zu erreichen. Total unspektakulär. Aber eben mein erstes PC-Spiel. Und darum total spektakulär.

Ich hatte zu dieser Zeit keine Ahnung von Computern. Ich musste mir im Grunde alles selber beibringen. Eines Tages schaute ich mir die Dateien auf der Diskette an und sah, dass sich darauf nicht nur vier .exe-Dateien befanden, sondern auch andere. Was sollte der Blödsinn? Die .exe-Dateien trugen die Namen der Spiele. Diese waren also wichtig, um sie zu starten. Logisch. Die anderen? Die hatten ganz komische Endungen. Bestimmt waren die nicht wichtig. Wie sah das denn auf der Diskette aus? Unordnung? Auf meinem Computer? Nein. Nicht mit mir.

Ich löschte die Dateien.

Von diesem Moment an konnte ich Mega Dschump! nicht mehr installieren. Ich war wahnsinnig traurig. Und lernte etwas über Dateiformate. Und meinen Ordnungsfimmel zu bändigen. Darum befindet sich mittlerweile ein Sicherungsordner in meinem Sicherungsordner in meinem Sicherungsordner.

Es dauerte etwa fünfzehn Jahre, bis ich Mega Dschump! wieder spielen konnte. Im Internet gibt es zum Glück tolle Seiten, die alte Spiele sammeln und zum Download anbieten. Und da meine aktuellen Boxen mittlerweile mehr Funktionen haben als meine ersten, müssen meine Eltern auch nicht mehr »Mach die Scheiße aus!« brüllen. Trotzdem glaube ich, sie hin und wieder doch noch hören zu können, wenn ich Mega Dschump! spiele.


In Mega Dschump! springt man als blauer Ball durch die Gegend und freut sich über die „yeah“s, die immer dann erklingen, wenn man Punkte einsammelt.

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