Mario VS. Mario

Es gibt diese Retro-Spiele, diese absoluten Klassiker, die man einfach gespielt haben muss. Dummerweise aber verpasst hat, als sie den Zenit der Spielkultur erklommen hatten. Und die nun, viele, viele Jahre später, einfach doch ein bisschen doof sind. Für mich ist Super Mario Bros. für das NES so ein Spiel.

Eigentlich liebe ich alle Spiele der Mario-Reihe. Mit acht Jahren entführte mich im Kinderzimmer eines Spielkameraden Super Mario World aus der Welt des analogen Spiels in ein digitales Universum, das mich bis heute nicht mehr losgelassen hat. Einige Jahre später, 1997, lief Nintendos Werbe-VHS-Kassette mit dem Intro zu Super Mario 64 im elterlichen Wohnzimmer so lange in Dauer-Rotation, bis mein sehnlicher Wunsch nach der eigenen Konsole mit dem Nintendo 64 erfüllt wurde. Den kleinen Ausrutscher mit Sunshine konnte ich Nintendo nachsehen, die Galaxy-Teile und nicht zuletzt das grandiose Super Mario Odyssey konnten mich allerdings genauso abholen wie die oftmals zu Unrecht abqualifizierte New Super Mario Bros.-Reihe. Auch die beiden anderen NES-Ableger, das kuriose Super Mario Bros. 2 und vielfältige Super Mario Bros. 3, würden in meiner persönlichen Allzeit-Best-of-Rangliste hohe Plätze erklimmen.

Aber ach, das Erstlingswerk.

Klar, ich kann schon anerkennen, wie besonders es in der Spielelandschaft 1986 gewesen sein muss, den bärtigen Pixelklempner durch die vage Idee einer Handlung zu führen. Für mich ist die tausendfach zitierte Welt 1-1 aber doch einfach eine recht simple Aneinanderreihung der üblichen Mario-Elemente. Und nach all den überbordenden Abenteuern der Neuzeit ist das Spiel vor allem langsam, hakelig, eintönig und auch nur überschaubar kreativ. Kurz gefasst: Es macht mir nicht besonders viel Spaß und ich habe nie die Motivation aufbringen können, die Prinzessin aus den Fängen von König Bowser zu retten.

Als Nintendo dieses Jahr zur Feier von Marios 35. Geburtstag lud, war ich natürlich dennoch hin und weg. Mit der Mario 3D Collection konnte ich meine Jugend im 64bit-Pilzreich nacherleben und mich einmal mehr (und endlich mit richtiger Tasten-Steuerung) in die Obhut der Lumas begeben, mit Mario Kart Live durfte ich mein Wohnzimmer zur Spielwiese verwandeln. Doch am tollsten war das Spiel, das mich eigentlich gar nicht interessierte – und das mir Nintendo als Gratis-Zugabe servierte: Super Mario Bros. 35. Die Grundidee, ein Mario-Spiel zum Battle Royale umzufunktionieren, wirkte auf mich erstmal eher schräg. Doch die Praxis belehrte mich eines besseren: Plötzlich wurden die eintönigen Level des Erstlingswerks zu kompetitiven Battlegrounds, in denen jede Sekunde und jeder besiegte Gegner zählen. Wo mich das lineare Design einst langweilte, sorgen nun überraschende Gegnerlawinen für Schweißausbrüche.

Spielekritiker Seth Macy von IGN.com bemängelte in seinem Test: „Ich fühlte mich ausgebrannt und irgendwie desinteressiert, zum x-ten male durch die Level 1-1 und 1-2 zu rennen.“ Mir hingegen ergeht es genau andersrum. Die anonyme Konkurrenzsituation mit anderen Spielern transformiert die angestaubten Level von historischen Anschauungsobjekten in ein zeitgemäßes Spielvergnügen. Ich betrachte das Spiel nicht als das, das es einmal war, sondern verliere mich im Wettkampf um den ersten Platz. Das ewige Trope, die Prinzessin zu retten? Geschenkt. Wieviel geiler ist es dagegen, fünf Bowsern gleichzeitig zu trotzen, die überraschend mitten in einem Level aufgetaucht sind, während links und rechts die namenlosen Mitstreiter dank der von mir auf sie gehetzten Gumba-Armeen Game-Over gehen!

Super Mario Bros. 35 führt eine eigenartige Existenz. Es verbindet Spieleromantik mit Neuzeit-Gaming, feiert die Historie einer Popkultur-Ikone und soll in wenigen Monaten wieder von den Konsolen verschwinden. Denn wie Nintendo bereits zum Start ankündigte, wird dem Service schon am 31. März 2021 ein Ende bereitet. Wer durch die Begegnung mit anderen Marios auch Super Mario Bros. selbst neu begegnen will, sollte die die verbleibende Zeit nutzen.


Entwickler Arika hat schon mit Tetris 99 bewiesen, Spieleklassiker in das Battle-Royale-Genre überführen zu können. Mit Super Mario Bros. 35 haben sie bewiesen, dass ihnen dabei kein Ansatz zu abwegig erscheint – der Autor wünscht sich daher nun den ultimativ chaotischen Showdown in Super Street Fighter II 50!

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