Mit etwas Distanz ist es ein Leichtes, Videospiele und was sie so an Popkultur umgibt, zu belächeln. Das 1:14 Minuten lange YouTube-Video „Metroid – All Samus Aran’s Appearance Fanfares“ trägt seinen Namen nicht zu unrecht – es spielt die jeweils etwa sechs Sekunden langen Tonfolge verschiedener Metroid-Spiele ab, die erklingt, wenn Samus Aran „erscheint“, was in der Regel geschieht, wenn man einen Spielstand lädt und sie heroisch aus der Speicherstation tritt. Schon die Tatsache, dass es ein Wort für diese sechs Sekunden gibt, ist beachtlich: „Appearance Fanfare“ – übrigens nicht zu verwechseln mit der „Item Acquisition Fanfare„. Wie gesagt, man kann es leicht belächeln.
Das Video hat rund 91.000 Aufrufe.
Es gibt Gründe dafür. Sound spielt schon seit dem Erstling von 1988 eine wichtige Rolle in den Metroid-Spielen und unterstützt das Gefühl der Isolation und der Erkundung eines so feindseligen wie wunderschönen fremdartigen Planeten. Nicht nur die sparsam eingesetzte Musik, auch die Geräusche, die die Welt und Samus selbst verursachen, sind einprägsam. Egal wie einsam und verloren man in den Tiefen eines Planeten auch ist, Samus strahlt Entschlossenheit und Stärke aus, wo immer sie auftritt. Es ist deshalb wichtig, dass Samus zu Beginn einer jeden Spielsession in Szene gesetzt wird – erscheint – und es hilft, dass dieser Moment durch eine Fanfare gestützt wird. Sie vereint die Einsamkeit in der Welt mit der Stärke, darin zu bestehen. Wohl auch deshalb wurde sie in jedem Metroid-Titel neu aufgelegt, bis „HerrTanoki“ am 25. Februar 2016 beschloss, sie alle in einem YouTube-Video für die Ewigkeit festzuhalten, was sich 91.000 Mal gelohnt hat.
Für die dreidimensionalen Teile der Prime-Serie wechselte die Franchise von einer Seitenansicht in die Egoperspektive. Doch wie soll Samus den Spieler:innen erscheinen, wenn man aus ihren eigenen Augen schaut? Die Retro Studios haben sich sicher nicht versehentlich dafür entschieden, die Kamera beim Laden eines Spielstandes zunächst auf Samus zu richten, wie sie stoisch und unnachgiebig in der Speicherstation steht. Und dann dreht sich die Kamera langsam um sie herum und fährt ihr in den Kopf, so wie es schon Goldeneye 007 zu Beginn eines jeden Levels getan hat. Während dieser Kamerafahrt spielt die bekannte Erscheinungsfanfare und bereitet mich darauf vor, Samus durch die Welt zu steuern.
Wenn die Kamera dann in einer einzigen, flüssigen Bewegung sicher in ihrem Kopf gelandet ist und die Fanfare verklungen ist, erscheint das HUD – all die wichtigen Anzeigen, die Samus und mir in den Visor des Helmes projiziert werden. Dieses Aufflackern wird von einem elektronischen Summen begleitet, es dauert keine Sekunde. Es markiert den Beginn meiner Kontrolle über die Spielfigur. Meiner Verantwortung für die Spielfigur. Es begleitet mich durch eine drei Spiele umspannende Reise. Ganz egal, wo ich noch vor fünf Minuten war – am Telefon, beim Sport oder beim Essen – dieser Klang richtet meine gesamte Aufmerksamkeit auf die Welt von Metroid – und versetzt mich in den Anzug von Samus Aran. Denn dieses unscheinbare Geräusch, diese Fanfare nach der Fanfare gehört nicht zu Samus, sondern zu mir. Zuerst erscheint Samus, dann erscheine ich.
Man kann deshalb debattieren, ob HerrTanoki unsauber gearbeitet hat, als er das Post-Appearence-Geräusch nicht mit in sein Video aufgenommen hat. Es mag nicht Teil der Fanfare sein, aber es fehlt. Was ist schon ein Spiel ohne die Menschen, die es spielen!?
Metroid Prime trug die Franchise im Jahr 2002 auf dem GameCube erfolgreich in die dritte Dimension. Zusammen mit den Nachfolgern (2004, 2007) bildet es eine hochgelobte Trilogie und ist bis heute in einem Meer an Metroidvanias eine der wenigen dreidimensionalen Reihen dieses Genres. 2017 wurde ein vierter Teil angekündigt, von dem noch immer nichts zu sehen ist. Man kann aber davon ausgehen, dass das Spiel eine Erscheinungsfanfare haben wird.
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