DANKE!

Würden diese zwei Kinder nicht andauernd so vorwurfsvoll gucken, hätte ich definitiv mehr Spaß in dieser offenen Welt. Aber sie gucken nun einmal, als hätte ich ihre Oma mit einer äußerst unangenehm juckenden Geschlechtskrankheit angesteckt, wodurch diese ihre Rente nicht mehr für Süßigkeiten, sondern Anti-Juckreiz-Salbe ausgeben muss. In dieser Situation könnte ich ihre strafenden Blicke ja verstehen. Doch habe ich keine Oma angesteckt. Weder untenrum noch mit brennbaren Materialien. Vermutlich haben die Entwickler:innen einfach an den Animationen gespart. Muss ich mich wohl mit abfinden.

Aber wie soll mir das gelingen? Diese ludografikarrative Dissonanz ist unerträglich! Während mich die zwei Kinder angucken, als wäre ich schuld daran, dass sich ihre Eltern während der letzten Urlaubsreise selbst auf einer Raststätte ausgesetzt haben, weil sie den Blicken nicht mehr standhalten konnten, blinkt unter ihnen ein freundliches »DANKE!« in grünen Großbuchstaben. Quasi als Belohnung, weil ich alles richtig mache. Das passt doch nicht zusammen! Lara Croft würde so lange dissonanten Geschlechtsverkehr mit Nathan Drake haben, bis sie zwei Kinder auf die Welt brächte, die genauso aussähen, wie die zwei Kinder auf dem Schild, und das nur, um sie dann zu erschießen, und jetzt weiß ich auch nicht mehr, wohin ich mit dieser ganzen Sache hier möchte. Bewerfen wir unser SNES einfach so lange mit Schokoladenstücken, bis wir den Resetknopf getroffen haben, damit wir hier noch einmal von vorne beginnen können.

Aber erst ein Einschub: Ich habe als Kind tatsächlich mal ein Stück Schokolade in Richtung eines Super Nintendos geworfen. Den Resetknopf hatte ich gar nicht treffen wollen. Mir war damals nur nach dem Werfen von Schokolade gewesen, weil ich diesen Drang hin und wieder, auch heute noch, verspüre und mich deswegen mittlerweile von Schokolade fernhalte. Jedenfalls traf ich damals aus Versehen den Resetknopf, was meine zwei anwesenden Freunde nicht sehr erfreute, da sie gerade wirklich wahnsinnig weit in irgendeinem Spiel waren, an das ich mich leider nicht mehr erinnern kann.

Stellt euch folgende Situation vor: Ihr sagt euren zwei Kindern: »Lieblingskinder! Ich gehe jetzt in den Schokoladenladen und bringe euch etwas mit!« Und dann kommt ihr nach Hause, die Kinder springen vor erwartungsvoller Freude auf und ab wie zwei anthropomorphe Flummis, die auf und ab springen, wenn sie sich auf etwas freuen, und dann legt ihr statt Schokolade die klebrigen Ausschabungen aus dem Bauchnabel des Schokoladenladenbesitzers auf den Tisch. Klar: Der Kerl wird sicherlich viel Schokolade essen und darum dürfte auch sein Nabelmaterial zumindest einen Hauch Schokoladengeschmack in sich tragen, trotzdem würde sich die Freude der Kinder in Grenzen halten. Nehmen wir weiter an, es würde sich in unserem Beispiel um höfliche Kinder handeln. Das nun von ihnen geäußerte »DANKE!« hätte eine vergleichbare Wirkung wie der Schriftzug auf dem Schild in Kombination mit dem Foto.

Grundsätzlich ist das wirklich eine tolle Idee. Direkt am Ortseingang steht dieses interaktive Schild, das die Geschwindigkeit der nahenden Autofahrer:innen misst. Ist man deutlich schneller als 50 km/h, blinkt ein rotes »LANGSAM!« auf. Liegt die Geschwindigkeit nur knapp über dem Richtwert, erscheint ein gelbes »VORSICHT!«. Hält man sich an die Straßenverkehrsordnung, sehen wir stattdessen das bereits beschriebene »DANKE!«. Gleichzeitig wird die gemessene Geschwindigkeit eingeblendet. Das ist bereits alles. Aber auch unglaublich viel.

Ich brauche nicht viel, um in Open-World-Spielen Spaß haben zu können. Eine gute Idee reicht aus, um mich stundenlang beschäftigen zu können. Die auf wenige Minuten beschränkte Demo des ersten GTAs zählt auch heute noch zu den intensivsten Spielerlebnissen meines Lebens. Sich selbst Ziele setzen, Experimente wagen, sich mit anderen Personen beim Erreichen dieser Ziele abwechseln. Wer schafft es zuerst innerhalb weniger Minuten auf dieses eine Hausdach? Wer sammelt in der Zeit die meisten Polizeiautos im Park und sprengt sie in den letzten Sekunden in die Luft?

Immer, wenn ich Einkaufen fahre, komme ich an dem Schild vorbei. Ich besitze kein Auto, sondern fahre mit dem Fahrrad. Auch mein Fahrrad auf dem Fahrradweg wird vom Sensor erkannt. Auch ich werde von den Kindern beurteilt.

Ich habe mittlerweile eine Highscoreliste bei mir, wenn ich Einkaufen fahre. Mein bisheriger Maximalwert liegt bei 23 km/h. Bergauf, wohlgemerkt. Außerdem schwer beladen, da die Messung lediglich die Fahrtrichtung ins Dorf hinein berücksichtigt, was bei mir eben den Rückweg vom Einkaufen darstellt. Mein niedrigster Wert liegt bei 11 km/h.

Auf meiner zweiten Liste, der mit den Errungenschaften, steht noch das Experiment, ob mich das Ding erkennt, wenn ich unter 10 km/h fahre. Das ist noch lange nicht alles auf der Liste. Wie damals bei der GTA-Demo haben viele dieser Experimente mit Explosionen zu tun, aber vermutlich sollte ich das hier jetzt nicht zu detailliert wiedergeben, schließlich will ich der Erste sein, der 100% aller Errungenschaften erreicht. Zudem ist es auf dem Fahrrad wirklich schwer, die Polizei abzuschütteln.

Ich glaube, dass es sich hier um diese Gamification handelt, von der immer all die Leute reden, die mich nicht nur dazu bringen wollen, meinen Schreibtisch aufzuräumen, sondern währenddessen auch noch Spaß zu empfinden, weil ich dafür schließlich einen Punkt bekomme, den ich dann später in Schokoladenläden auf dort ausgestellte Super Nintendos werfen darf.

Jetzt aber mal ehrlich: Dieses blöde Straßenschild bereitet mir tatsächlich Freude. Es fügt meinem Heimweg eine kleine Portion Spaß hinzu. Ich habe lange darüber nachgedacht und bin letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass es sich hier um ein Videospiel handelt. Und das ist eigentlich alles, was ich mit diesem Text sagen wollte.

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