30 Jahre für 14 Sekunden

Ich hatte keine Lust im Auto zu warten und ging mit rein „zum Fieguth“, dem Besitzer des Fotoladens, in dem mein Vater seine Filmrollen zum Entwickeln abgab. Während mein Vater die Filmrollen abgab, entdeckte ich ein Plakat im Laden, das für individuellen T-Shirt-Druck warb. Ich wollte ein individuelles T-Shirt für 29 Euro haben und bequatschte meinen Vater. Herr Fieguth holte mich an seinen PC-Bildschirm, öffnete Microsoft Word, stellte die Seite auf Querformat um und tippte den von mir diktierten Satz: „Waiting for Monkey Island 3“. Er druckte den Satz auf einem DIN A4-Zettel aus und sagte, dass wir das fertige T-Shirt in zwei Stunden, zusammen mit den entwickelten Fotos, abholen könnten. Das war 2001 – vier Jahre zuvor war zwar ein dritter Teil der Monkey-Island-Reihe erschienen, aber eben ohne das Zutun von Ron Gilbert.

Das T-Shirt war unsagbar hässlich. Es lag nicht ausschließlich an der öden Schriftart, sondern vor allem daran, dass man die Farbunterschiede zwischen dem weißen DIN A4-Zettel und dem weißen (zu großen) T-Shirt direkt sehen konnte,… es sah billig und schäbig aus. Kein Gute Arbeit, Herr Fieguth. Für 29 Euro! Die ganze T-Shirt-Monkey-Island-Druck-Sache war meinem 14jährigen Ich schon kurz danach dann doch auch irgendwie peinlich. Ein einziges Mal hatte ich das T-Shirt tagsüber an – danach wurde es zum Schlafshirt degradiert.

Vor etwas weniger als zwei Stunden habe ich Return to Monkey Island beendet. Obwohl ich es als Vorbesteller schon längst hätte spielen können, habe ich es irgendwie hinausgezögert. Auf die paar Wochen kommt es jetzt, nach 30 Jahren Wartezeit, auch nicht mehr an, könnte man sagen. Aber das war es nicht. Das war nicht der Grund. Ich wollte einfach nicht, dass ich es möglicherweise nicht mag. Und ich wusste, dass ich es niemals so sehr mögen können würde, wie ich den ersten Teil als Kind geliebt habe. Nach dem anfänglichen Nostalgie-Kick, hat es tatsächlich lange gedauert, bis Return to Monkey Island und ich wärmer miteinander wurden – trotz all der klassischen Zutaten.

30 Jahre mehr Point-and-Click-Erfahrung haben mitunter dazu geführt, dass die Rätsel nicht mehr zu wochenlangem Kopfzerbrechen geführt haben. 30 Jahre mehr Film-, Serien und Bücherkonsum haben dazu geführt, dass zahlreiche Erzähl-, Charakterentwicklungs- und Storytwist-Muster bereits erlebt wurden. 30 Jahre später ist meine Freizeit nicht mehr unendlich, sondern von Arbeits- und Familienleben bestimmt, weshalb die Zeit zum Spielen irgendwie in Alltag gefriemelt werden musste.

Vor mehr als zwei Stunden habe Return to Monkey Island beendet. Es hat dazu geführt, dass ich nach alten Fotos gesucht habe, in denen ich mein hässliches Monkey-Island-Shirt getragen habe. Es hat dazu geführt, dass ich mit meinem Vater telefoniert habe und nach dem Namen des Ladenbesitzers gefragt habe, bei dem er seine Fotos immer entwickeln ließ. Es hat dazu geführt, dass ich alte Texte rund um die Monkey-Island-Reihe noch einmal gelesen habe. Es hat dazu geführt, dass ich diese ätzende, zynische, (vermeintlich) altersweise Abgeklärtheit kurz verloren habe und erstarrt bin. Vierzehn Sekunden lang, um genau zu sein. Denn die letzten vierzehn Sekunden vor dem Abspann hatten alles in sich – mindestens aber 30 Jahre. Für dieses vierzehnsekündige Gefühl bin ich bereit noch einmal 30 Jahre zu warten.


Unser sehr spannendes und lehreiches Interview mit dem bezaubernden Lead-Progammierer David Fox ist äußerst empfehlenswert. Unser wenig spannendes und nicht informatives Interview mit dem (sicher irgendwie auch) bezaubernden Ron Gilbert ist (irgendwie auch) äußerst empfehlenswert.

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