Videobrettspielspaß für die ganze Familie

Na, bist du gut ins neue Jahr gekommen? Weihnachten und Silvester im Kreis der Liebsten verbracht? Vielleicht sogar pflichtbewusst ein Lebenszeichen bei der entfernteren Verwandtschaft hören lassen?

Eigentlich ist es doch eine ganz annehmbare Zeit. Plätzchenduft und Kerzenlichtgeflimmer erfüllen den Raum, und wenn noch niemand einen Blumentopfofen gebastelt hat, sorgen zumindest die frisch ausgepackten Wollsocken für gemütliche Wärme. In diesen Momenten, in denen der Dezember-Stress von einem abfällt, gibt es nichts Schöneres, als gemeinsam zu spielen. Schließlich will man nicht riskieren, sich zu lange mit den Familienangehörigen zu unterhalten, um die Meinung von Onkel Eugbert zu gendernden Klimaklebern ertragen zu müssen, die sowieso nur dem Staat auf der Tasche… nein, ein Spiel ist jetzt genau das Richtige! Aber Videospiele? Einige stark dem Analogen zugewandte Personen rollen bereits mit den Augen. Spielst du etwa IMMER NOCH diese Schießen-Spiele? Irgendjemand bringt einen Spruch mit viereckigen Augen, die Älteren lachen eine Spur zu laut darüber und deine Mutter setzt glucksend zu der Anekdote an, wie du als Kind mit dieser chronischen Magen-Darm-Erkrankung… BRETTSPIELE! Auf Brettspiele können sich zu Feiertagen alle einigen. Nebenbei erlangst du die Kontrolle über die Situation zurück, weil nur du die Regeln kennst. Und wieso nicht zur Abwechslung ein Brettspiel, das auf einem Videospiel basiert, um Vorurteile abzubauen? Im Gegensatz zu Filmadaptionen haben sie einen gar nicht mal so entsetzlichen Ruf, und dieses hier überzeugt sogar durch ausgesprochen positive Bewertungen. 

Du wuchtest den schweren Karton auf den Tisch und schiebst einen Berg winterlicher Kitsch-Deko beiseite. Platz braucht man für moderne Brettspiele, so will es das Kickstarter-Gesetz. Dabei kommt dieses hier mit einer überraschend zurückhaltenden Anzahl Miniaturen aus, sondern setzt eher auf Karten, Karten, Karten, einen riesigen Spielplan, ein Buch und noch mehr Karten. Praktisch ist, dass es kooperativ abläuft und man direkt loslegen kann, weil die Anleitung einem die Regeln häppchenweise während des Spielens vorsetzt. Ihr wählt Figuren und platziert sie in einem verwüsteten Haus. Um nicht mit dem thematischen Hintergrund zu schocken, erklärst du zuerst die Mechaniken. Deiner ureuropäischen Familie muss Worker Placement im Blut liegen. Und tatsächlich funktioniert das erst einmal ganz gut: Ihr teilt euch die Aufgaben auf, Gerümpel zu beseitigen, nach Nahrung zu suchen und ein Bett zu bauen. Als das Bett steht, macht sich Zufriedenheit breit. Auf zur nächsten Spielphase. 

Nun soll entschieden werden, wer das Haus bewacht und wer sich nach Sonnenuntergang nach draußen begibt. Du vermeidest das Wort „Plünderung“ und umschreibst die Situation stattdessen damit, dass man in der Nachbarschaft nach einem Händler für ehrliche Tauschgeschäfte suchen möchte. Hier mag es um ein Kriegsszenario gehen, aber wir spielen Zivilisten, die sich ihre Menschlichkeit erhalten wollen. Alles wird gut! Ein Stapel für die Erkundung wird zusammengemischt und los geht es. Dabei kommt das beiliegende Buch zum Einsatz, in dem fast 2000 Zufallsbegegnungen beschrieben werden. Natürlich ist die erste nicht der Händler, sondern wir treffen auf hilflose Kinder, die durch die Straßen irren. Ihre Eltern sind tot, sie sind hungrig und flehen uns um Hilfe an. Aber wir haben selbst nicht genug zu Essen. Es ist doch unsere erste Runde, verdammt! Vielleicht wäre es sowieso eine Falle gewesen. Während wir die Kinder sich selbst überlassen und es am Tisch merklich ruhiger wird, wird die nächste Karte aufgedeckt. Oh, wir entdecken ein Zimmer… sollen wir es erforschen? Natürlich! Die Vorfreude auf Vorräte hebt die Stimmung wieder für einen kurzen Moment. Doch dann stellt sich heraus, dass hier mehrere Leichen liegen. Detailliert werden der unerträgliche Gestank und die Verstümmelungen beschrieben. Das Vorlesen ist dir Unangenehm. Ach ja, da war doch was… man konnte bestimmte Elemente ignorieren, weil es Farb-Codes für verstörende Inhalte gab. Das wäre eine gute Idee gewesen. Tante Trudhildes missbilligendes Schnauben verrät, dass diese Runde nicht zu Ende gespielt werden wird. Irgendjemand schlägt Monopoly vor. Du seufzt. 


Die Brettspielumsetzung von This War of Mine ist ein faszinierendes Erlebnis, welches das Konzept von Serious Games vom Bildschirm auf den Tisch überträgt und auch solo sehr gut funktioniert. Im Grunde ist es ein Antikriegsbrettspiel. Als solches bietet es sowohl starke Emotionen, als auch eine nicht zu verachtende strategische Herausforderung… ist aber bestimmt nicht für jede Gruppe geeignet. Das sollte man im Hinterkopf behalten, bevor man es zum nächsten Familientreffen einpackt.

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