Träume voller Schatten

Ein ganz bestimmter Traum kehrt immer wieder zu mir zurück. In diesem sitze ich wieder in der Schule. Umgeben von Schüler*innen. Vorne eine Lehrer*in. Unterschiedliche Personen, unterschiedliche Unterrichtsfächer, unterschiedliche Jahrgänge. Träumen ist schließlich alles egal.

So verschieden die Situationen im Detail auch sein mögen, zwei Dinge sind stets gleich: 1) Es wird eine Klassenarbeit geschrieben. 2) Ich bin unglaublich müde.

Klassenarbeiten waren damals natürlich immer recht stressig. Aber in der Regel wusste ich, dass ich genug gelernt hatte, um eine Drei zu bekommen. Schon damals bin ich ein großer Anhänger befriedigender Tätigkeiten gewesen, was an dieser Stelle aber nicht weiter ausgeführt werden sollte. Die Müdigkeit ist nämlich viel, viel schlimmer.

Meistens bin ich so müde, dass ich meine Augen nicht aufhalten kann. Dabei muss ich mich doch auf die Klassenarbeit konzentrieren. Ich kann die Fragen nicht lesen. Ich schaue auf die Zettel, kann aber nichts sehen. Meine Augen weigern sich. Ich bin so müde. Nein, ich muss den Schlaf besiegen. Ich muss die Müdigkeit abschütteln. Ich muss die Schatten vertreiben.

In The Shadow People geht es auch um Müdigkeit. Es geht im weitesten Sinne um die Zeit der Klausurenphase. Den Weg zur Schule. Den Heimweg. Einen Unfall. Die Ungewissheit, ob man wach ist oder nicht. Wie in der Schule meiner Träume fällt es mir auch in The Shadow People immer schwerer, einen klaren Gedanken zu fassen. Zunächst ärgert man sich ein wenig über die veraltete Adventure-Steuerung mit einem Inventar und einem Haufen Verben, die man irgendwie richtig kombinieren muss. Doch ist diese Schwerfälligkeit genau das, was ich auch in meinen Träumen spüre. Was muss ich tun? Ich kann keine Sätze mehr lesen. Nur noch Satzfetzen. Drücken. Ziehen. Gucken. Öffnen. Ich will schlafen. Aber ich darf nicht schlafen. Die Schatten. Sie sind überall. Ich will mein Heft öffnen. Aber wo ist “Öffnen”? Was ist “Öffnen”? Ich will schlafen. Aber ich darf nicht. Sonst bleibe ich noch sitzen. Aber ich sitze doch schon. Und zum Aufstehen bin ich zu müde.

Je länger man The Shadow People spielt, desto weniger versteht man die Realität. Die Realität der Träume. Der Schule. Der Spielwelt. Der Schatten. Man löst Rätsel, die anfangs noch in der Realität verankert sind, kombiniert Schlüssel mit Schlössern, Zangen mit Ketten und zerschlägt auf einmal Spiegel, hinter denen sich Türen auf andere Planeten befinden. Auf einmal ist alles schwarz. Dann sieht man in der Dunkelheit Schatten. Bewegen sie sich? Sollte ich mich bewegen? Flackert das Licht oder kann ich meine Augen nicht lange offen halten? Wer sind die Schatten? Was wollen sie von mir? Wollen sie überhaupt etwas? Will ich etwas? Ja, ich will aufwachen. Aber es geht immer weiter. Immer tiefer. Die Schatten werden größer. Die Gänge länger. Einmal habe ich eine Karte auf einen kleinen Zettel gezeichnet. Aber dann bin ich abgestürzt. Wie viele Beine hat der Elefant? Ist das überhaupt ein Elefant? Die Schatten. Am Ende haben sie mich bekommen. Ende drei von fünf. Noch einmal? Nein. Ich will nicht. Aber ich will auch nicht mehr in die Schule. Trotzdem lande ich am Ende immer und immer wieder dort. Warum also nicht? Noch vier Enden. Vier Träume. Vier Runden. Vier Stunden. Aber deutlich mehr als vier Schatten. Diese verdammten Schatten.

Ich bin so müde.


The Shadow People ist ein Adventure mit Gameboy-Grafik. Das Spiel gibt es bei itch.io.

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