Slendernde Pac-Likes

Ich leide unter einer Sozialphobie. Das bedeutet, dass ich Angst vor Menschen habe. Ich fühle mich nicht wohl, wenn sich um mich herum Menschen aufhalten. Dieser Umstand ist nicht schön und ich möchte an dieser Stelle auch nicht weiter ins Detail gehen, doch sagen wir einfach, dass ich mich bereits unwohl fühle, wenn ich in der Ferne einen Menschen auf mich zukommen sehe, der theoretisch mit mir reden wollen könnte. Oder mich umbringen. Beides macht mich nervös. Der Ausblick auf eine Ermordung tatsächlich weniger, da ich danach keine Angst mehr haben müsste, doch bevor jetzt alle Therapeut:innen der Welt mit Behandlungsvorschlägen auf mich zugestürmt kommen und mich dadurch nur noch mehr in Panik versetzen, möchte ich kurz über Filme reden. Außerdem: In der Regel kommen mir Hundebesitzer:innen entgegen und das Einzige, was die umbringen können, ist meine Toleranz gegenüber Geschichten über Tierkot. Habe ich schon erzählt, wie vor ein paar Tagen die ersten Worte einer Hundebesitzerin an mich »Achtung, der hat eine entzündete Prostata!« waren?

Der Film It Follows zählt zu den besten und schlimmsten Horrorfilmen, die ich in meinem Leben gesehen habe, weil er die eben beschriebene Grundangst anspricht. Nein, nicht die vor einer entzündeten Prostata. Ich rede von dem Thema davor. Der Phobie. Also: Ein Wesen kommt unaufhaltsam auf dich zu. Gehend. Du kannst vor ihm wegrennen, doch weiß es immer ganz genau, wo du dich befindest. Schritt für Schritt kommt es näher. Ich will den Film nicht weiter in seine Einzelteile zerlegen. Wichtig ist, dass ich nach seiner ersten Sichtung mehrere Tage lang Albträume hatte und mich tatsächlich erschrocken habe, wenn Leute auf der Straße an meinem Fenster vorbei gegangen sind. Einfach, weil der Film mit meiner Psyche gespielt und diese währenddessen zerstört hat. Wie ein Kleinkind, das die tollen Legohäuser in meinem Wohnzimmer sieht, sie berührt und dadurch umgehend drei Teile abfallen lässt, von denen zwei, warum auch immer, nie wieder auftauchen werden.

Es ist äußerst interessant, dass es Filmen immer wieder gelingt, mich so zu treffen wie »It Follows«, Videospiele dagegen nur sehr, sehr selten. Das Spiel Slender: The Eight Pages beispielsweise funktioniert ja eigentlich wie It Follows. Ein Typ schlendert auf mich zu, steht plötzlich hinter mir und ich bin tot. Aber irgendwie hat das nie so funktioniert, wie all die schreienden Streamer es mich haben erwarten lassen. Das Spiel ist anfangs schon recht spannend, verliert aber irgendwann schnell die Faszination. Klar, bei Jumpscares zucke ich selbstverständlich zusammen, aber nervt das auf Dauer eher, als dass es mich beeindruckt. Immer, wenn der freundliche Herr in meiner Nähe war, machte ich mir einen Spaß daraus, die Grenzen des Spiels auszutesten. Wie genau darf ich ihn mir angucken? Aus welcher Entfernung? Sterbe ich, wenn ich seine hochwertigen Designerschuhe im Blickfeld behalte? Kann er hinter mir auftauchen, wenn ich einen Zaun im Rücken habe? Videospiele breche ich sehr schnell in ihre Mechaniken herunter. Und dann ist der Horror verflogen.

Pac-Man zählt wohl zu den ältesten Slender-Likes, wodurch Slender eigentlich ein Pac-Like sein müsste, aber so haben Genre-Bezeichnungen ja noch nie funktioniert. Man rennt durch einen Level, sammelt Punkte statt Zettel und wird gleich von mehreren Übeltätern verfolgt. Gruselig ist es aber irgendwie nicht. Das könnte an der Lebensfreude liegen, die von den einzusammelnden Kirschen ausgeht. Kirschen sind schon toll. Nur die Kerne nerven. Aber Pac-Man isst die einfach mit und macht da nicht so ein Drama draus. Manchmal wäre ich gerne wie Pac-Man. Der stellt sich nämlich nicht andauernd so an. Wenn da nicht die Geister wären. Oder waren es Gespenster? Wie auch immer. Die nerven natürlich. Aber die Kirschen…

Wenn es da draußen ein Slender-Like gibt, das mir tatsächlich Albträume beschert hat, dann ist es Devil Daggers. Man rennt durch eine Arena, ballert auf Totenschädel und versucht währenddessen, nicht vollkommen durchzudrehen. Alles um einen herum weiß, wo man ist, und will einen töten. Das ist das einzige Ziel aller anderen Wesen im Spiel: die Spieler:innen töten. Die Arena ist klein, man kann sich nicht verstecken, alles Böse fokussiert sich auf einen selbst. Devil Daggers ist ein Spiel mit einer unglaublichen Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit. Egal, wie gut man spielt, es werden immer mehr Gegner. Die Hoffnung liegt nicht darin, irgendwann zu gewinnen, sondern darin, so lange wie möglich nicht zu sterben und so viel wie möglich aus diesem verdammten Restleben herauszuholen. Es ist deprimierend, düster, furchteinflößend und bereitet mir Dauerstress. Die Grafik, das Sounddesign, die Spielwelt, alles greift ineinander und haut mir sekündlich eine runter. Darum spiele ich es manchmal stundenlang und habe anschließend Albträume. Letztendlich darf man sich selbst auch nicht ZU gerne haben. Man sammelt in Devil Daggers übrigens rote Kristalle ein, nur um den Bogen zu Slender und dem Motiv des Einsammelns zu schlagen. Leider gibt es keine Kirschen. Wobei das vielleicht auch ganz gut ist, denn ich bin mir sicher, dass in Devil Daggers sogar Kirschen einen umbringen wollen würden. Sogar Kirschen! Diesem Spiel ist definitiv nichts heilig.

Seit ein paar Tagen spiele ich Dark Deception. Im ersten Level rennt man aus der Ego-Perspektive durch ein verwinkeltes Hotel und sammelt auf dem Weg Energiekristalle ein. Währenddessen wird man von wildgewordenen Monsteraffen verfolgt, die sich nichts Schöneres vorstellen können, als die Spieler*innen aufzuschlitzen. Das Spiel ist ein Pac-Man-Klon. Nur eben mit Morden. Wobei ich jetzt gar nicht genau weiß, was die Gegner in Pac-Man mit der gelben Kugel anstellen, wenn sie sie erreichen. Die Animation deutet darauf hin, dass sie mit ihr das machen, was King Kong in seinen Filmen immer so gerne mit Dinosauriern macht: Das Maul aufreißen, bis alles bricht, was dieses zusammenhält. Und eigentlich ist Pac-Man ja nichts anderes als Maul. Unangenehm.

Jedenfalls mag ich Dark Deception. Die Idee ist super, die Umsetzung ebenfalls. Die stampfenden Schritte der Affen machen einen schnell nervös. Die Affen wissen immer, wo man sich gerade befindet und kommen stetig auf einen zu. Man verlässt sich auf das Gehör, da man damit grob die Entfernung zwischen sich und den feindlichen Schritten abschätzen kann. Und es gibt eine Um-180-Grad-Drehen-Taste, die sich einfach nur fantastisch anfühlt, wenn man einen Gang entlang sprintet, plötzlich vor einem ein Affe um die Ecke gerannt kommt und man besagte Taste drückt und flieht, was das verdammte Zeug hält.

Dark Deception hat nur ein einziges Problem: Es macht mir viel zu viel Spaß. Es ist dadurch fast gar nicht gruselig. Kommt ein Affe um die Ecke, rufe ich laut »Yeah!«, weil die Viecher so cool aussehen, und renne erst dann davon. Mit einem Grinsen im Gesicht, das die Pac-Man-Übeltäter mir sicherlich gerne aus der Fresse brechen würden. Es ist chaotisch, hektisch und nur ein wenig gruselig.

Letztendlich fällt es Videospielen schwer, mich wirklich in ihren Horrorbann zu ziehen. Wiederholen sich die Situationen, die mir einen Schrecken einjagen sollen, bin ich schnell genervt oder abgestumpft. Dark Deception geht da genau in die richtige Richtung: Es nimmt sich nicht zu ernst, will eigentlich eher Spaß machen und nervt nicht mit billigen Jumpscares, die sich mittlerweile unter den meisten Slender-Likes als Standard durchgesetzt haben. Zeug-Einsammeln-Bis-Der-Jumpscare-Kommt kann ich nicht leiden und ist einfach nur unkreativ. Wie die ganzen Filme, die nur darauf aus sind, die Zuschauer:innen zu erschrecken, damit sie im Kino zwar einiges erlebt haben, danach aber nie wieder über den Film nachdenken, weil nichts von der Handlung hängen geblieben ist.

Die klassischen Slender-Likes mag ich somit nicht. Sie sind auf Jumpscares aus und das stellt für mich keine Kunst dar. Man hat Angst vor dem Erschrecken, nicht vor dem, was einen erschreckt. »Devil Daggers« bietet da eine andere Form des Horrors. Genauso wie Dark Deception. Zusammenfassend kann ich sagen, dass die Spielmechanik auch bei Horror-Spielen für mich über dem Rest steht. Es macht Spaß, Devil Daggers und Dark Deception zu spielen. Der Horror ist ein Bonus, den ich danken annehme. Slender dagegen ist irgendwann langweilig, weil es mechanisch nichts zu bieten hat, was einen vom eintönigen Spielprinzip ablenken kann. Stattdessen denke ich beim Spielen darüber nach, ob der Unterschied zwischen Slender-Like und Pac-Like im Grunde nur das Labyrinth ist, durch das man sich bei den einen Likes bewegt und bei den anderen nicht. Aber vor einer genaueren Analyse dieses Themas habe ich gerade mehr Angst als vor dem Vieh aus It Follows und ich glaube nicht, dass ich das gerade verkraften kann, denn mit dem Vieh ist wirklich nicht gut Kirschen essen.


In Dark Deception wird man von Monstern durch ein Labyrinth gejagt. Parallel dazu erzählt einem eine Frau, warum das geschieht. Die Geschichte des Spiels ist recht unterhaltsam, letztendlich sollte man sich aber immer wieder klarmachen, dass man hier einfach nur Pac-Man in neuer Perspektive spielt.

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