Schwedische Gardinen

Was nur die wenigsten von uns von innen kennen, ist in Videogames das obligatorischste Gimmick-Level überhaupt: Das Gefängnis. Der Freiheit (vermeintlich) beraubt, und oft (fast) jedes Items entledigt, stellt sich nicht nur Prinzessin Peach die Frage: Was nun? Unser Mixtake versucht sich dem Sinn und Unsinn spielgewordener Gefängnisse anzunähern.


Should I stay or should I go?

Mirko

Der Anzahl der durchschnittlichen Gefängnisausbrüche pro Jahr in Deutschland liegt irgendwo unter zehn, Tendenz fallend. Bei knapp 50.000 Strafgefangenen klare Verhältnisse: Es geht rein, nicht raus. Gefängnisse in Videogames sind das genaue Gegenteil, der Imperativ lautet hier „bloß weg hier!“ und es ist meist nicht einmal all zu schwer, die Lücke im System zu finden und sich auf und davon zu machen.

Manche Gefängnisse, wie die Bibliothek des Dukes (Dark Souls) oder das Kellergewölbe in Yahar’gul (Bloodborne) haben den Namen nicht verdient: Tür auf und raus. Andere brauchen mindestens einen Skill – eine Uhr mit Magnetfunktion in Goldeneye 007 oder einmal-ein-Loch-Graben in Twilight Princess. Metal Gear Solid bietet uns direkt mehrere Optionen an, den Diarrhö-geplagten Wachmann Johnny auszutricksen. Aber klar ist immer: Wir kommen raus, das ist vom Spiel so vorgesehen. Hingegen nicht aus dem Gefängnis entkommen zu wollen, kommt einer Arbeitsverweigerung gleich.

Wachmann Johnny ist entsetzt, dass wir wieder Unfug mit dem Ketchup angestellt haben
(Szene aus Metal Gear Solid)

Die Frage, warum wir überhaupt im Gefängnis sitzen, stellen wir uns beim Ausbruchsvergnügen nicht. Vielleicht macht uns die Antwort Angst. Einmal den Gameplay-Nutzen von Gitterstäben beiseite gedacht, schwant uns, dass wir vielleicht nicht ohne Grund eingelocht wurden. Wie viele Handlanger, Nebencharaktere und geplagte Kreaturen könnten Abends nach Hause zurückkehren und von einem Tag ohne besondere Vorfälle berichten, mit ihren Freunden lachen und mit ihren Kindern spielen, wenn mein Charakter, der meist nur das Töten kennt, einfach mal im Knast bleiben würde? Ist die virtuelle Welt wirklich so im argen, wenn wir für einige Zeit das Metzeln, Schießen, Wüten, Umfahren unterlassen würden? Das sind enorm schwere Delikte, für die wir in der realen Welt zu Recht in den Bau wandern würden. Naja, immerhin ist der Gefängnisausbruch selbst, das Durchsetzen des eigenen Rechts auf Freiheit, keine Straftat.


Sündenfall

Benjamin

Man muss die Existenz von Gefängnissen gut begründen, denn Haftstrafen sind ein massiver Eingriff in die Grundrechte. Sie ist zudem teuer und ein langer Aufenthalt gefährdet die Resozialisierung. Und doch gibt es gute Gründe, Menschen einzusperren. Meist wird auf ein allgemeines Gerechtigkeitsempfinden und die Abschreckung abgehoben. Es gibt jedoch noch mindestens eine dritte Funktion von Haftstrafen: Prävention. Ein Massenmörder wird im Gefängnis vermutlich nicht weitermorden und wenn doch, trifft es wenigstens andere Massenmörder.

Doch wie schon Mirko in seinem Text sagt, vergisst man diese guten Gründe allzu leicht, wenn man Videospiele spielt. Es wird nicht hinterfragt, ob man entkommen sollte. Mehr noch: Man wird ständig dazu angehalten, Fremde zu befreien. Es ist ein natürlicher Instinkt, verschlossene Türen in Spielen zu öffnen und man wird meistens dafür belohnt. Außer, dahinter befinden sich Zombies. In dem Fall kann man sich sicher sein, dass sich die Türen in einem unpassenden Moment von selbst öffnen.

Das Detektiv-Mystery-Adventure The Forgotten City nutzt diese Logik für sich. [SPOILER] Gleich zu Beginn wird man von Galerius begrüßt. Ein von allen geschätzter, einfacher Farmer, der die perfekte Wahl neben den beiden zwielichtigen Kandidaten für das höchste Amt zu sein scheint. Der derzeitige Amtsinhaber hat einen geistig stark eingeschränkten Mann namens Duli eingesperrt, weil dieser immer wieder zu klauen versucht.

What could possibly go wrong

Nun muss man wissen, dass die Grundprämisse des Spiels ist, dass das Begehen einer Sünde wie Diebstahl die göttliche Hinrichtung aller Bewohner:innen zur Folge hat. Um die Gemeinschaft vor Duli zu schützen – und Duli vor sich selbst, müsse er hinter Gitter. Galerius findet das ungerecht, weil Duli keine bösen Absichten hege, doch der Magistrat bleibt hart – es seien nicht die Absichten, die zählen, sondern die Taten. Und da Duli sich nach Ansicht des Magistraten nie im Griff haben werde, müsse er den Rest seines Lebens in der Zelle verbringen. Alle positiv gezeichneten Figuren sind dagegen und auch Duli selbst bittet eindringlich darum, freigelassen zu werden.

Und auch diejenigen, die dem Magistraten glauben und kaltherzig alle Signale ignorieren, die die Freilassung nahelegen, werden am Ende mit einer Steintafel konfrontiert. Die letzte von vier Steintafeln, die absolut notwendig ist, um das Spiel zu beenden, liegt in Dulis Zelle. Man setzt also vieles in Bewegung, um die Wahl von Galerius zu sichern und dessen erste Amtshandlung ist tatsächlich Dulis Begnadigung. Dieser beteuert, er werde nicht mehr stehlen. Der Magistrat war bestimmt wirklich zu hart. Doch stellt man sich nun neben Dulis Zelle, kann man beobachten, wie Duli aus dem Gefängnis geradewegs auf den nächstbesten Marktstand zuläuft. Duli erblickt ein willkürliches Objekt und nimmt es an sich. Sofort werden die goldenen Wächter:innen lebendig und bringen alle um. Es ist eine herrliche Pointe, die das ganze Spiel lang aufgebaut wird und in Erinnerung ruft, dass es auch in Videospielen Gründe geben kann, ein Gefängnis zu nutzen, so unmenschlich es auch erscheinen mag.


Im Bau

Janina

Man muss glücklicherweise nicht erst zu Haftstrafen verurteilt werden, um im echten Leben oder in Videospielen mit Gefängnissen zu tun zu bekommen. „Bau“ kommt schließlich von „Bauen“, und weil ich dieser Beschäftigung gerne nachgehe, habe ich viele Stunden in Prison Architect freiwllig hinter Gittern verbracht.

Zwischen Gemeinschaftsduschen und elektrischen Stühlen kann ich mich als Direktorin voll darauf konzentrieren, alles zu optimieren, anstatt meine Häftlinge zu sehr zu bemuttern. Während ich meinen liebgewonnenen Sims selbstverständlich ein größeres Wohnzimmer gönne, wenn ich noch eine hübsche Leselampe unterbringen möchte, oder meine Zoo Tycoon Tiere mit ein bisschen mehr Platz verwöhne als nötig, herrscht im Gefängnis strikter Pragmatismus. Die minimale Größe reicht für jede Zelle aus, stellt euch nicht an! Sollte das Stanford-Prison-Experiment etwa Recht behalten? Büßen wir in der Rolle des Gefängniswärters automatisch an Empathie ein? Aber darum geht es mir gar nicht, also lasst uns die moralischen Diskussionen schnell bei Seite schieben und über Spielmechaniken reden.

Und noch eine Gittertür hier…

Zu meinem in Prison Architect ausgelebten Perfektionismus gehört nämlich, dass ich meine Gebäude sehr genau plane. Und hierfür gibt es ein Werkzeug, bei dem ich mich immer wieder frage, weshalb es mir nicht in JEDEM Aufbauspiel zur Verfügung steht: Der Planungsmodus. Damit kann man als Overlay direkt auf der Map die Form von Gebäuden einzeichnen, inklusive Türen und grober Platzhalter für Objekte. Was für ein Segen! Endlich kann ich unverbindlich ausprobieren, wie meine symmetrisch (natürlich müssen sie symmetrisch sein!) angeordneten Räumlichkeiten so in den Hof passen, dass auf allen Seiten gleich viel Platz zur Mauer bleibt. Kein anstrengendes Kästchenzählen im Kopf mehr, bei dem man sich am Ende doch immer um eins vertut. Kein langwieriges Bauen und Abreißen. Wie gerne hätte ich diese Möglichkeit bei ausnahmslos jedem Spiel, in dem ich Gebäude, Städte oder Freizeitparks planen muss. Aber leider scheint sie sich immer noch nicht in dem Maß durchgesetzt zu haben, in dem ich das gehofft hatte. Und so denke ich, wenn ich an meine Zeit mit Prison Architect denke, immer noch voller Liebe an den dort erstmals entdeckten Planungsmodus zurück. So kalt ich all meine Häftlinge in meiner Zeit als Dirketorin behandelt haben mag, so wunderbar symmetrisch waren ihre winzigen Zellen angeordnet.


Harte Zeiten für stumme Ps

Eingesperrt wurde ich, weil ich hin und wieder stumme Ps betont hatte.

Ich erhielt eine Strafe von sechzig Tagen. Auf den ersten Blick mag das übertrieben klingen, als Germanistik-Student kann ich der Sache jedoch ein kleines bisschen etwas abgewinnen. Problematisch waren eher die Dinge, die sich von nun an im Gefängnis ereigneten:

Zunächst wollte ein Insasse, dass ich mich genauso kleide wie er. Darauf hatte ich keine Lust, weil besagter Insasse äußert schlecht angezogen war. Er hielt nicht viel von meiner ablehnenden Haltung und verwickelte mich in eine Schlägerei. Ich überstand diese mehr schlecht als recht, konnte mich aber zumindest ein wenig behaupten.

Kurz darauf kam ein anderer Insasse zu mir, der mich auf meine Schlägerei ansprach. Er lud mich dazu ein, mich seiner Gang anzuschließen, da man gemeinsam besser überleben konnte. Nun war ich aber lediglich wegen eines germanistischen Vergehens im Gefängnis und hielt es für keine gute Idee, mich irgendwelchen Gangs anzuschließen. Der Gang-Anhänger ging von dannen, warnte mich aber davor, dass das noch Konsequenzen haben würde.

Vor lauter Aufregung vergaß ich, die Toilette aufzusuchen, weshalb ich auf den Boden der Bibliothek pinkelte. Sofort wurde ich von einem Wachmann vor Gericht gezerrt. Zum Glück war mein Richter mir wohlgesonnen und verlängerte meine Gefängniszeit nicht. Dafür mochte mich der Wachmann nicht mehr.

Nachdem ich den Gerichtssaal wieder verlassen hatte, betrat ich rückwirkend die Gefängnistoiletten, um eventuelle noch offene Entleerungen umzusetzen. Dort sah ich eine Spritze auf dem Boden liegen, in der sich eine pinkfarbene Flüssigkeit befand. Selbstverständlich injizierte ich mir diese sofort, da ich in Superheldenfilmen gelernt hatte, dass dies eigentlich nur Gutes bedeuten konnte.

Leider sah eine Wachfrau, wie ich mit der Spritze in der Hand herumrannte, brachte mich erneut vor den Richter und diesmal zeigte er kein Verständnis. Meine Haftstrafe wurde um fünf Tage verlängert. Verdammt.

Frustriert ging ich abends zu meiner Zelle, um mich hinzulegen, wurde dabei jedoch von dem Gang-Mitglied von zuvor besucht. Der Kerl kam nicht alleine, sondern brachte eine Schrotflinte mit. Er schoss mich mehrmals an, ich brach zusammen, schaffte es aber tatsächlich, mich zu erheben, mich gegen ihn zu schleudern und ihm die Waffe zu entreißen. Ich gab einen Schuss ab, zielte aber nicht richtig, traf den Wachmann, der immer noch wegen der Bibliotheksurinierung sauer auf mich war, sofort eine Maschinenpistole zog und mich über den Haufen ballerte.

Jetzt bin ich tot.

Ich überlebte zwei von fünfundsechzig Tagen.

Und das nur wegen dieser bescheuerten, stummen Ps.

Hard Time zählt zu den besten Gefängnis-Simulatoren, die es gibt.

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