Doomte Maske

Es ist wichtig für Kinder, Lieblingssachen zu haben, sie geben Identität, sorgen für Abgrenzung oder Zugehörigkeit. Sie sortieren das Leben und einen selbst, denn sie gehen weit über ein Qualitätsurteil oder Geschmack hinaus. Und wenn man ehrlich ist, hat die Lieblingshaftigkeit weniger mit den Sachen als mit einem selbst zu tun. Sie dienen der Selbstdarstellung. Obwohl ich bis heute mit großer Leidenschaft Rankings erstelle und sagen kann, welches Spiel mir letztes Jahr am besten gefallen hat, habe ich keine Lieblingssachen mehr.

Was bleibt, ist der süße Nachgeschmack früherer Lieblingssachen. Ich fühle mich immer noch seltsam verbunden mit Pinguinen und Eichhörnchen, und der Gedanke an Lasagne fühlt sich wie eine wohlige Textur an, die mich umhüllt und mir bedeutet, dass alles gut ist. Auch wenn ich an Majora’s Mask denke, durchströmt mich die Erinnerung an dieses wohlige Gefühl, etwas von mir selbst gefunden zu haben. Es ist kein Widerspruch, dass es sich am stärksten in einem markerschütternden Schrei aus der Hölle manifestiert.

Sicherlich waren es auch die rührenden kleinen Geschichten und die Tatsache, dass mir das Spiel Fenster in Gedankenwelten geöffnet hat, die mir bis dahin verschlossen waren. Aber zuvorderst sind es die Schreie, die Link von sich gegeben hat, wann immer sein Körper durch das Aufsetzen einer Maske eine Ganzkörpertransformation zu einem anderen Wesen durchmachte.

Dass ich es selbst war, der Link durch das Nutzen eines Items durch solche Qualen schickte, war gelinde gesagt erstaunlich. Das schmerzverzerrte Antlitz der zuvor so starren Maske, nur weil ich wollte, dass Link schneller schwimmt oder Felsen zerrollt. Es ließ mich nie ganz los, was ich dem ohnehin schon schwer traumatisierten Jungen antat, einfach, weil es so praktisch war.

Anstatt jetzt tiefenpsychologisch zu analysieren, warum wohlbehütete Vorstadtjungs sich so gern an Qual und Weltuntergang laben, und warum ausgerechnet ich dieses Spiel und diese Aspekte des Spiels zum Teil meiner Identität werden ließ, lenke ich den Blick lieber auf mein eigenes künstlerisch-musikalisches Schaffen. Gemeinsam mit dem zweiten Beleuchteten Bruder Tim habe ich in den letzten fast zwanzig Jahren mehr als 500 sonderbare Tracks aufgenommen. Der allererste von ihnen trägt den Namen Doomte Maske. Denn wenn man mit achtzehn Jahren ohne Ziel und Sinn an den Verzerroptionen eines rudimentären Audioprogramms aus den frühen 2000ern herumspielt, kommen offenbar Dinge heraus, die an diesen Ausdruck von größter Pein erinnern.

Und dann ist man der Ansicht, es sei ein gelungenes Werk und eine lustige Hommage an das eigene Lieblingsspiel, und speichert es inklusive ID3-Tag ab. Und dann lässt man es nicht auf sich beruhen, sondern stellt es Jahre später ins Internet. Und dann hält man es für angemessen, diesen Track auch mit Ende 30 noch fröhlich zu verlinken.

Wenn ich Doomte Maske höre, erinnere ich mich an Lieblingssachen. Was für eine wundersame Zeit im Leben mit felsenfester Identität und unerschütterlicher Selbstgewissheit.


The Legend of Zelda: Majora’s Mask erschien im Jahr 2000 am Ende der Lebenszeit des N64. Ich war gerade noch jung genug, neue Lieblingssachen aufzusaugen und rezeptiv für das düstere Emo-Abenteuer von Link, der offenbar mit mit zusammen in die Pubertät gekommen war.

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