City of Son Flynn

Als ich zum ersten Mal von City of Heroes hörte, den unendlich vielen Möglichkeiten, dem Dasein als Superhelden, den Missionen, den Fähigkeiten, den Gruppenaufgaben, den… ach, kürzen wir es ab: War mir alles wurst. City of Heroes sah aus wie jedes andere Online-Rollenspiel, das sich durch ein oder zwei kleine Ideen vom Rest abheben wollte, aber selbstverständlich genauso identisch zum restlichen Einheitsbrei war, wie der Brei einer gelangweilten Einheit aus einem beliebigen Militär-Shooter nur sein kann.

Ich teilte dies der gerade bei mir stationierten und richtig leckeren Griesbrei essenden Einheit mit und wollte sie schon wieder von ihrem Posten als Bewacher meines Selbstwertgefühls abziehen, als einer der Marines plötzlich das Wort erhob. Er stellte sich als Doom-Marine vor, was mir total egal war, schließlich war ich ein Klischee-Sergeant, der alle seine Untergebenen einfach nur mit „Marine“ ansprach, weil ich es mochte, dass sich mit einem Aufruf alle um mich herum angesprochen fühlten. Das war so ein Tick von mir. Als jemand, der damals in einer Klasse mit mehreren Stephans und Stefans gesessen hatte, gab es für mich nichts Lustigeres, als nach einer Namensnennung aus unterschiedlichen Ecken mehrere „Hm?“s ertönen zu hören.

Der Marine jedenfalls wies mich darauf hin, dass der Editor in City of Heroes phänomenal sein und unendlich viele Funktionen bieten solle. Und damit hatte er mich tatsächlich. Ich sah mir Videos über den Editor an und entschied: OK, das ist doch etwas für mich.

An meinem ersten Charakter saß ich gleich mal ein oder zwei Stunden. Er hieß: Son Goku. Er sah aus wie: Son Goku. Ich feilte an jedem Detail. Den Haaren, der Kleidung, dem Rest. Er sah richtig, richtig gut aus. Fast wie das Original. Mit ihm betrat ich die Welt von City of Heroes, erledigte ein paar Missionen und wurde anschließend von einem Moderator in eine Art Online-Gefängnis teleportiert, weil ich mit meinem Charakter irgendein Gesetz gebrochen hatte. In City of Heroes durfte man nämlich keine popkulturell existierenden Held*innen nachbauen. Ich wurde also gezwungen, meinen Charakter umzugestalten. Sonst würde man ihn löschen. Mitsamt meinem Account.

Ich baute meinen Charakter vollständig um. Am Ende war er ein kleiner, alter Mann mit langem Bart. Damit hatte ich es den Menschen hinter City of Heroes mit ihren veralteten Denkweisen mal so richtig zeigen wollen, doch selbstverständlich interessierte das niemanden, denn wer hört schon Menschen zu, die Son Goku in Videospieleditoren nachbauen?

Zuletzt musste ich meinen Charakter dann noch umbenennen. Ich nannte ihn »Flynn Taggart«. Warum? In Gedenken an den Doom-Marine natürlich, der mich zu diesem von strengen Richtlinien kaputt geregelten Spiel erst gebracht hatte. Laut offiziellem Roman zum Spiel, der selbstverständlich in meinem Bücherregal steht, heißt der Doom-Marine nämlich Flynn Taggart. Darum schreie ich auch immer laut „Och, Flynn, echt jetzt?“, wenn mein Marine in »Doom« das Zeitliche segnet anstatt die Dämonen um sich herum, was ja eigentlich viel logischer wäre, wenn man beim Film Der Exorzist genauer hingesehen hätte.


In City of Heroes spielt man einen Superhelden. In Doom ebenfalls. City of Heroes ist ein MMORPG. Ich weiß nicht, ob es noch online ist, weil ich zu faul bin, dies nachzugucken. Es interessiert mich zudem nicht. Doom gibt es dafür immer noch. Auf allen Geräten mit Bildschirm, die man sich vorstellen kann.

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